Es gleicht einer nahezu drei Jahre währenden Fahrt mit der Achterbahn, auf der auch die krisengeschüttelte Elektronikbranche aus teils ohnmächtig anmutenden Phasen wachgerüttelt zu neuem Leben erwacht. Matthias Holsten, Veränderungsberater in der Elektronikbranche, äußerte sich am letzten Tag der diesjährigen „electronica“ in München zu den Erkenntnissen, die er und sein Team aus den Gesprächen mit den Messebesuchern als Fazit mit nach Hause nahmen. „Das große Glück im Unglück war, dass mit Corona und dem Krieg vor unserer Haustür, bis auf wenige Ausnahmen fast nahezu alle produktenwickelnden Unternehmen, alle OEMs und EMS-Dienstleister, von den Krisen gleichermaßen betroffen waren und es in vielen Unternehmen auch noch sind“, meint der Hamburger Berater, „das schärfte erstmals in unserer Branche den Blick auf so etwas wie ein kollektives Problembewußtsein.“
Allokationsprobleme, Lieferschwierigkeiten und teils ins Ungewisse verschobene Fertigungstermine warfen nicht nur bei allen Betroffenen, bei den OEMs und den Elektronikfertigern dieselbe Frage auf, wie es nun weitergehen könne. Teils am Rande der Existenz und des Produktionsstillstands erkannte man das Dilemma auf breiter Front: Das „same procedure as every year“ wog viele am Spiel der Kräfte Beteiligten im Glauben, dass alles seinen Lauf nehme, sich nichts ändern müsse, solange die Bauteilverfügbarkeit im Großen und Ganzen funktioniere, der Einkauf sich vornehmlich preissensibel benähme und der EMSler seine Auslastung im Fokus hat.
Mehr fachliche Begleitung ist gefragt
„Wir nahmen an, auf der Messe vornehmlich Einkäufer und OEMS an unserem Stand zu haben, denen mehr der Sinn danach stand, um über das EMS SCOUT-Tool auf alternative EMS-Dienstleister in ihrer Region zu stoßen und sich damit zufrieden zu geben, alles andere selber zu lösen“, gab Holsten zu verstehen. Seinen Angaben zufolge waren eine Vielzahl der Besucher doch mehr auf individuelle Beratung aus. Es überwog das plötzliche Interesse, neue Geschäftsbeziehungen mit EMS-Dienstleistern eingehen zu wollen, die man mehr mit fachlicher Hilfe nach qualitativen Aspekten auszuloten gedenke: „Es findet eine Art Umdenken, gerade bei den Einkäufern statt. Bislang war eine einmal eingegangene Dienstleistungsbeziehung auf Jahre beständig. Im Prinzip ein gutes Zeichen. Wenn sich die Produktentwicklung jedoch dreht, man beispielsweise zu qualitativ hochwertigerer Produktfertigung übergeht oder sich die Stückzahlen signifikant erhöhen, stimmen diese Beziehungen zum EMS unter Umständen plötzlich nicht mehr.“
Es war für den branchenerfahrenen Unternehmensberater Holsten in den Messegesprächen deutlich erkennbar, dass die Krisen der letzten drei Jahre bei Einkäufern mit dazu beigetrugen, mehr als zuvor unter diesen Aspekten die geschäftlichen Bindungen auf den Prüfstand zu stellen. Ursächlich dafür äußerte man auch, dass OEMs mit ihren Komponentenforderungen intern ihre Einkäufer inzwischen anders, detailintensiver und somit vertiefender briefen. Auch sei auf Seiten der EMS- Unternehmen nun eine größere Bereitschaft zu erkennen, sich zu öffnen, sich untereinander auszutauschen, Einkaufsengpässe gemeinsam anzugehen. Auch Auslastungsüberhänge oder Fertigungsniveaus durch interne Subverträge auszugleichen, sind mit weniger Berührungsängste behaftet als zuvor. „Für mich ein Indiz dafür, dass die Narben langsam verheilen, man aus der Not, aus Erfahrung fruchtbare Schlüsse zieht, die über mehr Gemeinsinn, über Kooperation statt Abschottung helfen Krisen künftig besser zu durchstehen.