Kritische Stimmen weisen jedoch gern darauf hin, dass es bei den mittlerweile weit verbreiteten Abholstationen zumindest zu Teilen weniger um eine Optimierung als um eine Verlagerung der Zuständigkeiten geht. Wenn das Transportunternehmen ein halbes Dutzend aktuell nicht zustellbarer Pakete an einer Station sozusagen en bloc abliefert, wird eine entsprechende Zahl von Zweitzustellungsversuchen eingespart. Den Preis dafür zahlen die Empfänger, die nun jeder für sich zur Abholstation marschieren müssen und so die letzte Etappe der Zustellung übernehmen.
Die Frage, ob und wie sich das besser machen lässt, beschäftigt nicht nur die großen Zusteller und die Forschung, sondern auch die Politik: das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz unterstützt im Rahmen der Förderlinie #mobilwandel2035 mit mehreren Millionen Euro Projekte, die im Zeichen der Mobilitätswende stehen. Das Fraunhofer-Institut hat in einer mehrjährigen Studie über die Gebiets- und Prozessanalyse mit geografischen und soziodemografischen Daten, Verkehrsflüssen, den Standorten von Einzelhändlern sowie öffentlichen Gebäuden und nicht zuletzt den jeweils vor Ort verfügbaren Parkplätzen unterschiedliche Konzepte bewertet. Besonders vielversprechend wurde dabei der Ansatz emissionsminimierter „grüner“, mobiler und bedarfsorientiert wechselnder Abholplätze (Green PickUp Points) bewertet. Auf Basis dieser Daten wurde ein KI-gestützter Algorithmus zur Bewertung möglicher Standorte entwickelt.
Wie wird ausgeliefert?
An dieser Stelle kommt KNOBLOCH ins Spiel. Der älteste Hersteller von Briefkästen und Paketanlagen Deutschlands (Eigenwerbung) kann bereits jetzt eine praktisch realisierte Lösung anbieten. Wie das Unternehmen in einem Videoclip zeigt, ist die Erprobung mobiler Abholstationen in der Praxis bereits angelaufen. Möglich wurde die bemerkenswert kurze Entwicklungszeit zum einen durch die vom Fraunhofer-Institut geschaffene wissenschaftliche Basis, zum anderen durch einen Ansatz, den man gern als pragmatisch bezeichnen darf: KNOBLOCH hat schlicht das firmeneigene, jahrelang praktisch erprobte Paketanlagen-Flaggschiff PAKNO aus der eigenen Herstellung auf ein entsprechend modifiziertes E-Lastenfahrrad gesetzt. Das Konstrukt wird mit einem Akku versorgt, dessen Kapazität für einen kompletten Arbeitstag reicht.
War es das schon? Nun ja, nicht ganz. Vor allem muss geklärt sein, wie stark die damit erreichbaren Verbesserungen in der Praxis ins Gewicht fallen. Das hängt vor allem von der Akzeptanz der Paketempfänger an, und die wiederum ist hauptsächlich an eine einzige Frage gebunden:
Wie weit darf der Weg zur Abholstation sein?
Eine substanzielle Antwort muss etliche Faktoren (von Verkehrsdichte über Durchschnittsgewicht und -größe der Sendungen bis zu Alters- und Sozialschichten) berücksichtigen und einen Ausgleich zwischen einander entgegengesetzten Interessen finden. Ein Beispiel für Interessenkonflikte: Je engmaschiger die Abdeckung des jeweiligen Zustellbezirks (d.h. je höher die Zahl der Abholstationen), desto höher die Kosten für den Aufsteller bei gleichzeitig kürzeren Wegen der Empfänger und dementsprechend höherer Akzeptanz. Nach aktuellem Stand der Forschungen (soweit sie nicht von den Transportunternehmen als Geschäftsgeheimnis behandelt werden) erscheint eine Entfernung von rund 1 km Fahrt mit dem eigenen Auto oder einem anderen Transportmittel ein weit verbreiteter Kompromiss zu sein.
Konventionelle Abholstationen sind, wie der Name auch vermuten lässt, unbeweglich. Bei sorgfältiger Auswahl des Standorts sollten alle potenziellen Empfänger ungefähr gleich lange Wege haben – aber wie das Leben und der berühmte Satz von Murphy nun einmal so spielen, wird es immer wieder vorkommen, dass der Empfänger des schwersten Pakets die längste Strecke zu bewältigen hat.
Exakt an dieser Stelle setzt das Konzept mobiler Abholanlagen an.
Mobile Abholanlagen sind immer am idealen Standort für den aktuellen Bedarf
Dass sich eine Abholanlage auf Rädern vergleichsweise einfach zum jeweils optimalen Standort bewegen lässt, dürfte kaum überraschend sein – aber wie informiert man die Beteiligten über das Wo (und das Wann)? Für dieses Detailproblem scheint ein zweigleisiger Ansatz vielversprechend:
- Zusteller haben grundsätzlich eine Frachtliste, die beim Beladen des Zustellfahrzeugs erstellt wird – oder eben beim Beladen der Abholanlage. Aus dieser Frachtliste kann ein Computerprogramm die optimalen einzelnen Standorte zusammen mit der Verweildauer errechnen.
- Paketempfänger haben eine App auf ihrem Handy, die über den Abholort ihrer Sendung, den Zeitraum, die Nummer des Paketfachs und die PIN für den Zugang informiert. Eine typische Mitteilung dieser App sieht in etwa so aus: „Ihr Paket von XYZ kann heute von 12 bis 14 Uhr am ABC-Platz abgeholt werden. Die Entfernung zu Ihrer Haustür beträgt 200 Meter.“
- Das Umbenennen eines Lieferfahrzeugs schafft keine Verkehrsentlastung
- Mehr oder weniger wild parkende Lieferfahrzeuge werden meist als notwendiges Übel hingenommen, sie stehen aber selten länger als einige Minuten im Weg. Bei Abholstationen geht es um Zeiträume im Stundenbereich.
Für Abholstationen, die eben nicht stationär, sondern beweglich sind, wird man wohl einen eigenen Begriff finden müssen. Das Fraunhofer-Institut hat dafür den Begriff “GreenPickUp” etabliert - ein Kunstwort, das Umweltschutz und den eigentlichen Zweck (die Abholung) - miteinander verbindet.