"Generative Verfahren erlauben eine gewaltige Beschleunigung des Entwicklungsprozesses bis hin zur Produktion", erklärt Prof. Andreas Gebhardt vom Lehrstuhl Hochleistungsverfahren der Fertigungstechnik an der Fachhochschule Aachen. Der Einsatz von "Additive Manufacturing", so der mittlerweile anerkannte Oberbegriff, ist immer noch den fortschrittlichen Unternehmen in Deutschland vorbehalten, aber die Technologie ist erwachsen geworden und hat industriellen Standard erreicht. In Entwicklung und zunehmend in der Fertigung werden die Möglichkeiten generativer Verfahren genutzt.
Individualität ist einer der großen Trends. Dabei entscheidet oft das Design über den Erfolg am Markt. Maßgeblich kommt es darauf an, anhand von Prototypen sofort zu erkennen, wie das Produkt aussehen wird. Wer in einer Zeit sinkender Produktlebenszyklen nach der virtuellen Entwicklung erst Formen und Werkzeuge bauen muss, hat schon einen Großteil seines Vorsprungs gegenüber dem Wettbewerb verspielt. "Wer klug ist, verkürzt die Zeit drastisch, bis das erste Muster vorliegt, und produziert dann auch direkt mit diesen Daten", weist Prof. Gebhardt den Weg. Kosteneffizienz spielt eine große Rolle in der modernen Fertigung. "Zahlreiche Beispiele belegen, dass Additive Manufacturing auch wirtschaftlich attraktiv sein kann", erläutert der Experte für generative Verfahren. Zudem revolutioniert die Technologie ganze Branchen, beispielsweise die Dentaltechnik, durch individualisierte Produktion.
Selbst komplizierteste Formen mit spiralförmigen Hohlkanälen und Hinterschnitten können in Metall wie Kunststoff künftig in einem Stück gefertigt werden. Da Werkzeuge und Formen entfallen, sinken die Kosten, und die Fertigstellung wird beschleunigt. "Entscheidend ist der Vorteil, dass eine individuelle Anfertigung nach Maß mit industrieller Herstellung vereinbar wird", betont Prof. Gebhardt. Die fortschreitende Standardisierung spiegelt die zunehmende Verbreitung wider, wie es neben der VDI-Richtlinie 3404 in den USA mit der Definition von "Additive Manufacturing" geschehen ist.
Enorme Fortschritte bei den Materialien haben die anfängliche Kritik an brüchigen Bauteilen oder nicht ausreichenden Oberflächengüten verstummen lassen. Das Angebot an Werkstoffen für "Additive Manufacturing" ist zwar begrenzt, wächst aber ständig.
Während eine Palette von Standardwerkstoffen verfügbar ist, müssen Materialien für spezialisierte Anwendungen qualifiziert und oft auch zertifiziert werden. Dabei spielen Parameter wie Verzug, Rissanfälligkeit, Mikroporen oder thermische Beständigkeit eine Rolle. Während beispielsweise bei Metall das Finishing und die Oberflächenbehandlung Nacharbeit beanspruchen, bildet bei den Hochleistungskunststoffen der Werkstoff an sich weiterhin Stoff für die Forschung.
Obwohl es eine lange Erfahrung mit Kunststoffen in der Produktion gibt, fehlt immer noch die universelle Einsatzmöglichkeit bei den Rapid-Verfahren. "Der Anwender ist ähnlich wie bei Druckpatronen an den Maschinenhersteller gebunden", erläutert Prof. Thomas Seul von der Fachhochschule Schmalkalden. Das Problem dabei: Der Hersteller der Maschine verstehe zwar den Prozess, sei jedoch meist kein Fachmann bei werkstofftechnischen Fragestellungen. Bisher wurden überwiegend die Verfahren den vorhandenen, auf dem Markt aus anderen Anwendungen verfügbaren Werkstoffen angepasst. Wie muss der maßgeschneiderte RM-Werkstoff aussehen? Diese Fragestellung gewinnt in Zukunft an Gewicht, um auch auf dem Gebiet der Güteüberwachung robuster und der neuen Technologie gerecht zu werden.
Mit dem Einzug von Rapid Manufacturing zeichnet sich eine extreme Veränderung bei der modernen Verarbeitung von Kunststoff ab. Prof. Seul fordert einen übergreifenden Engineering-Ansatz für Produkte und Anwendungen von morgen: "In zehn Jahren werden 80 Prozent des Umsatzes mit heute unbekannten Werkstoffen generiert", erklärt er. Deshalb müsse man sich sofort auf die Suche nach dem Material von morgen machen und die Technologien zu deren Verarbeitung vorantreiben.
Aufbauende Fertigungsverfahren beschränken sich nicht auf Kunststoff, wie Dr. Ralf Hoffmann, BMW Group, am Konzeptfahrzeug BMW Vision Efficient Dynamics belegt. Die freie Formgebung in Verbindung mit zusätzlichen Funktionalitäten ermöglicht erst der Einsatz von "Additive Manufacturing". Hybridfahrzeuge und Leichtbauweise sind auf diese neuen Fertigungsverfahren angewiesen. Gleichzeitig wird deutlich, dass es um weit mehr als die Entwicklung von Formen und Werkzeugen geht: Das gesamte Engineering wird zu anderen Denkweisen herausgefordert.
Innovationsschub in der Dentaltechnik
In überragendem Maß zählt die Dentaltechnik zu den Gewinnern durch Rapidtechnologien. Zahntechniker erleben den Zwang, sich durch den Einsatz moderner Technik am Markt zu behaupten, denn dieser Handwerkszweig hat in den vergangenen drei Jahren einen Innovationsschub erlebt, für den andere Branchen zwei Jahrzehnte benötigten, wie Antonius Köster, Geschäftsführer der Antonius Köster GmbH & Co. KG, darlegt. Die Arbeit ohne eine CAD/CAM-Software erscheint kaum noch möglich, allerdings fällt es nicht leicht, die jeweils passende Lösung zu finden. Bei den individualisierten Produkten wie Zahn oder Gebiss spielen die Rapidtechnologien ihre Stärke aus. Eine Laser-Sinter-Anlage stellt täglich mehr als 500 Zahnkronen her, während ein Zahntechniker mit traditioneller Gusstechnik etwa zwei Prozent davon schafft.
Digitalisierung der Daten und moderne Fertigung verändern das Berufsfeld des Zahntechnikers außerordentlich, wie Andreas Hoffmann, Dentales Service Zentrum GmbH & Co. KG, unterstreicht. Generative Verfahren finden zunehmend Einsatz bei Verblendungen. Die Herstellung ästhetischer und biokompatibler Kronen und Brücken zu Preisen, die deutlich unter den derzeitigen Kosten der Herstellung liegen, rückt in den Vordergrund. Die Verlagerung von manuellen Arbeiten hin zu CADgestützter und automatisierter Fertigung verlangt insbesondere nach verstärkten Anstrengungen, schon in der Ausbildung die angehenden Fachkräfte auf die Veränderungen vorzubereiten.
In Zukunft wird das optische Modell im Mund des Patienten abgenommen. Beim Einsatz von Systemen mit intraoraler Digitalisierung, einer so genannten Mundkamera, geht die Veränderung sehr tief. Die Abformung beim Zahnarzt entfällt. Nach der Digitalisierung bereits im Mund des Patienten werden die aufgenommenen Daten mit einer entsprechenden CAD-Software nachbearbeitet. Das digitale Bild wird per Datenübertragung an ein externes Bearbeitungszentrum gegeben. Dort bedienen Techniker mit einer speziellen Qualifikation die CNC-Maschinen oder Laseranlagen für generative Techniken. Ohne Umweg über ein manuell gefertigtes Modell kann nahtlos zum Rapid Manufacturing übergegangen werden. Die automatisierten Abläufe an den Schleif- und Fräsmaschinen, Sinteranlagen, Plottern oder der stereolithografischen Systeme setzen aus technischer Sicht lediglich die Qualifikation der Maschinenbedienung voraus, hinzu kommen die grundlegenden Anforderungen, die an Medizinprodukte generell gestellt werden. Bis 2020 werden die zahntechnischen Arbeiten zu 80 Prozent digital erledigt werden, prognostiziert Dr. Joseph Rothaut, Geschäftsführer der imesicore GmbH.
Maßgeschneiderte Implantate für Chirurgen
Die Medizintechnik hat die generativen Fertigungsverfahren als wegweisend angenommen, wie Prof. Hans-Florian Zeilhofer, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsspital Basel, darlegt. "Additive Manufacturing" erlaubt eine rasche Herstellung von Unikaten - exakt an die anatomischen Gegebenheiten des Patienten angepasst. Modelle und Implantate als individualisierte Produkte wirken sich kostensenkend und gleichzeitig qualitätsverbessernd aus.
Für den Einzelfall angefertigte Implantate gestalten die Arbeit für den Mediziner komfortabler und erlauben dem Patienten nach einer verträglicheren Operation häufig ein beschwerdefreies Leben. Mediziner rechnen mit bahnbrechenden Neuerungen im Spannungsfeld von dreidimensionaler Planung, virtueller Realität und der vom Roboter unterstützten Operation. Prof. Zeilhofer, der zu den ersten Anwendern von Rapid-Techniken in der Medizin gehört, sieht auch eine ganz besondere Unterstützung durch die Entwicklung von Biomaterialien, die den Aufbau von Haut (Tissue-Engineering) und Knochen (Bone-Engineering) ermöglichen.
Da Operationsmethoden einem rasanten Wandel unterliegen, benötigt der Chirurg ständig andere oder sogar speziell für seine Person angefertigte Instrumente. Jährlich nimmt Aesculap 400 Produkte neu ins Portfolio auf. Deren Entwicklungszeit von der Idee bis zur Herstellung muss folglich immer kürzer werden. In der Konsequenz ist bei dem Anbieter von Medizintechnik der Werkzeugbau an den Prototypenbau angegliedert und das simultane Engineering eingeführt worden. Zum Erfolg führt letztlich nur eine breite und Fächer übergreifende Zusammenarbeit, betont Hans Keller, Leiter Entwicklung, Fertigungstechnologie der Aesculap AG & Co. KG. Die unterschiedlichen Verfahren müssen zusammengeführt werden. Er lässt das "Additive Manufacturing" beim Rapid Development beginnen, um die Entwicklungszeit möglichst kurz zu halten.
Eine Neuheit ist die Fertigung eines Schmiedegesenkteils mit Hilfe des Rapid Manufacturing. Die Herstellung von Umformwerkzeugen ist zwar noch wenig erkundet, aber unter bestimmten Bedingungen durchaus sinnvoll, wie Dr. Bernhard Müller, Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, Chemnitz, berichtet. Ein typisches Schmiedeteil mit komplexer Geometrie ist mit Hilfe eines generativ gefertigten Schmiedegesenks erzeugt worden. Von der 3D-CAD-Werkzeugkonstruktion über die Prozesssimulation, das Laserschmelzen der Gesenkeinsätze bis hin zum eigentlichen Schmieden ist die generative Prozesskette genutzt worden, um unter produktionsähnlichen Bedingungen Vorteile und Besonderheiten gegenüber dem üblichen Vorgehen zu erforschen.
In einer steigenden Zahl von Anwendungsfeldern werden bei Bauteilen nur Unikate benötigt, und selbst bei kleinen Stückzahlen kann die generative Fertigung ihre Stärke ausspielen. Besonderen Reiz erhalten Rapidtechnologien für Konstrukteure, weil sie fortan Bauteile völlig anders entwickeln und einsetzen können. Das eröffnet Marktchancen in vielen Einsatzbereichen.
Die Individualisierung bei der Bauteilherstellung findet im Wassersport besonderes Interesse. Obwohl die Problemstellung in der Regel einzigartig ist, lassen aufbauende Fertigungsverfahren die Realisierung komplexer Einzelstücke zu. Bootsbeschläge, die in SLS-Technik hergestellt wurden, haben den Praxistest einer Segelsaison unter Einfluss von Feuchtigkeit und UV-Strahlung ausgezeichnet bestanden.
Den revolutionären Wandel zur funktionsgerechten Bauweise nutzen Architektur und Bautechnik. Der Einsatz von generativer Fertigungstechnik erlaubt in Zukunft digitale Planung und exakte Anpassung von baulichen Details, erläutert Holger Strauß, Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Möglich werden Konstruktionen, die in konventioneller Bauweise nicht praktikabel waren. Damit ändert sich die Sichtweise der Architekten: Sie können die traditionelle Denkweise - von Konstruktion und Fügung geprägt - in den Hintergrund stellen und ihren Fokus auf Funktion sowie Eigenschaft legen.
Häufig bleibt die durch "Additive Manufacturing" gewonnene Gestaltungsfreiheit aufgrund von Lücken in der Prozesskette ungenutzt, darauf macht Dr.-Ing. Sabine Roth-Koch vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart, aufmerksam. Mit Hilfe einer eigens entwickelten Software, die jetzt als Pilotmodell zur Verfügung steht, soll es gelingen, Designskizzen auf Papier leicht in 3D-Modelle umzuwandeln, damit die Produktentwickler schnell und effektiv weiter arbeiten können.
Die Bionik nutzt Strukturen aus der Natur, um effizientere Produkte herzustellen. Mit Hilfe generativer Technik können Komponenten den natürlichen Formen nachempfunden oder die Bauweise der Biologie genutzt werden. Wo klassische Verfahren an ihre Grenzen stoßen, überwinden Rapidtechnologien die technischen Beschränkungen. Zur Unterstützung des Konstrukteurs entsteht ein Katalog, der Lösungsvorschläge für bionische und lasergenerierte Strukturen enthält.
Rapid Prototyping - Additive Manufacturing
Ursprünglich bezeichnete der Begriff Rapid Prototyping die schnelle Herstellung von Musterbauteilen aus digitalen Konstruktionsdaten. Heute ist unter dem Oberbegriff "Additive Manufacturing" eine Methode zur schnellen Produktion von Teilen zu verstehen, mit denen Funktionen oder Design einer geplanten Anwendung frühzeitig getestet und optimiert werden können. Materialien und Prozesse erlauben bereits heute die direkte Herstellung von Produkten als Einzelstück oder in Kleinserien.
Rapid.Tech 2011
Neueste Entwicklungen bei den generativen Fertigungsverfahren zeigt am 24. und 25. Mai 2011 die achte Fachmesse Rapid.Tech in Erfurt. Als praxisnahe Austauschplattform rund um "Additive Manufacturing" stehen Anlagen- und Systemhersteller, Forschungsinstitute, Dienstleistungsanbieter, Entwickler und Anwender im engen Dialog. Das Zusammenspiel von praxisnaher Ausstellung, Anwendertagung und Konstrukteurstag bringt in einzigartiger Weise einen Einblick in Rapid Manufacturing. Die parallel veranstalteten Fachkongresse "Zahntechnik" sowie "Medizintechnik" ermöglichen den offenen und lebendigen Austausch mit Anwenderbranchen.