Gemäß der Europäischen REACh-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 besteht bei Erzeugnissen im Falle einer Überschreitung des Schwellenwertes von 0,1 Gewichts-% (= 1000 mg/kg) für SVHC-Kandidatenstoffe eine Informationspflicht für alle Akteure (jede Person, die ein Erzeugnis für Dritte bereitstellt) in der gesamten Lieferkette sowie nach entsprechendem Ersuchen auch gegenüber Verbrauchern (REACh: Artikel 33). In Abhängigkeit von der Gesamtjahresproduktion bzw. Verwendung eines SVHC-Stoffes (> 1 Tonne/Jahr: bezogen auf alle Erzeugnisse je Produzent oder Importeur) sind für Produzenten und Importeure unter Umständen weitere Schritte wie eine Registrierung für diese bestimmte Verwendung (REACh: Artikel 7(1)) oder eine Unterrichtung/Notifizierung (REACh: Artikel 7(2)) bei der ECHA (European Chemicals Agency) erforderlich.
Hinsichtlich des Schwellenwertes von 0,1 % für die SVHC-Substanzen bestanden schon seit Längerem zwischen verschiedenen EU-Mitgliedsländern (u.a. Deutschland, Frankreich, Dänemark und Österreich) einerseits und der Europäischen Kommission sowie der ECHA andererseits unterschiedliche Ansichten (quasi als „Streitpunkt“) in der Auslegung und Anwendung insofern, ob die in einem Bestandteil (Einzelerzeugnis an einem Gesamterzeugnis) gefundene Konzentration einer SVHC-Substanz auf den Einzel-Bestandteil (z.B. einen Knopf) alleine oder auf den Gesamtartikel (z.B. eine Bekleidung = Gesamterzeugnis) bezogen und berechnet werden soll. Je nachdem, worauf bezogen wird, ergeben sich natürlich gravierende Ergebnisunterschiede.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit seinem Urteil jetzt Klarheit geschaffen und entschieden, dass die gefundene Konzentration einer SVHC-Substanz auf den untersuchten Einzelbestandteil (Einzelerzeugnis) bezogen und berechnet werden muss und nicht auf das Gesamterzeugnis (z.B. eine Bekleidung), an dem es verarbeitet ist.
Bei den Labortests gemäß OEKO-TEX® Standard 100 ist es schon immer gängige Praxis, die einzelnen Materialien und Bestandteile (Teilerzeugnisse) auch jeweils einzeln zu prüfen und dabei möglicherweise erhaltene Befunde ausschließlich direkt auf das untersuchte Material/Teilerzeugnis (Nähfaden, Knopf, Maschenware, Drucke, Gewebe, Etiketten, metallische Accessoires, etc.) zu beziehen und zu berechnen – also nicht in irgendeiner Weise auf das Gesamttextil/Bekleidung. Das wäre nach Ansicht der OEKO-TEX® Gemeinschaft ohnehin im Hinblick auf ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und dem Vorsorgeprinzip nicht aussagekräftig und nicht zielführend.
Wenn z.B. in einer Jacke im Futterstoff eine kritische Substanz in einer bedenklichen Konzentration gefunden wird, wäre es wenig sachdienlich, die ermittelte Schadstoffmenge auf das Gesamtgewicht der Jacke zu berechnen. Das würde den Nachweis der schädlichen Chemikalie im Futter zwar „schönen“, definitiv aber in keinster Weise besser machen, und die Gesundheit des Trägers wäre durch den Futterstoff trotz „geschöntem“ Befund gefährdet.
Auf Grundlage seines Baukastensystems ermöglicht der OEKO-TEX® Standard 100 explizit auch die Überprüfung und Zertifizierung von (Ausgangs-)Materialien auf den jeweiligen Herstellungsstufen selbst. Die Anerkennung dieser Prüfungen und Zertifizierungen in nachgelagerten Produktionsstufen und bei Bekleidungen ist unter anderem einer der großen Vorzüge des OEKO-TEX® Standard 100 Systems.
Die OEKO-TEX® Gemeinschaft beschreitet somit beim OEKO-TEX® Standard 100 schon seit seiner Einführung im Jahre 1992 den jetzt vom „REACh-EuGH-Urteil“ erlassenen Weg und hat die Zertifikatsinhaber mit der Überprüfung sämtlicher Bestandteile eines gebrauchsfertigen textilen Artikels bereits von Beginn an hierfür sensibilisiert!
[1] http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=9ea7d0f130d5057ab452d290470eb42c996e47b4079d.e34KaxiLc3eQc40LaxqMbN4ObNyPe0?text=&docid=167286&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=40872
[2]
http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2015-09/cp150100de.pdf