Nachhaltigkeit ist der wichtigste Megatrend dieser Dekade. Für eine nachhaltige Entwicklung hat die UN 17 Ziele, so genannte Sustainable Development Goals (SDG), definiert (siehe Infokasten). Diese Ziele erstrecken sich über drei Dimensionen der Entwicklung, nämlich Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit. Heruntergebrochen auf produzierende Prozesse stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit folglich auch im Zusammenhang mit der Herstellung von Bauteilen durch Umformung oder durch spanende Bearbeitung.
Produkte und Prozesse gleichermaßen betrachten
Der verantwortungsbewusste Kühlschmierstoffhersteller Oemeta Chemische Werke GmbH aus Uetersen bei Hamburg hat sich schon vor vielen Jahren daran gemacht, Nachhaltigkeitsaspekte beim Einsatz von Bearbeitungsmedien für das Umformen oder die zerspanende Bearbeitung zu definieren, einzustufen und zu berücksichtigen. Damit gebührt dem inhabergeführten Mittelständler sicherlich eine Vorreiterrolle. Die wird umso deutlicher, weil Unternehmen aus maßgebenden und anspruchsvollen Branchen wie der Luftfahrt, der Medizintechnik und der Elektronik- sowie der Automobilbranche dies begrüßen.
Aber was heißt das eigentlich genau genommen? Schließlich hat das Traditionsunternehmen schon in den 1980iger Jahren einen mineralölfreien esterbasierten Hochleistungs-Bearbeitungsschmierstoff entwickelt und sich somit schon immer um die Umweltverträglichkeit seiner Produkte Gedanken gemacht. Allerdings geht es nicht nur um Produkte, sondern immer auch um die Prozesse, in denen diese eingesetzt werden.
UN-Ziele und Kyoto-Protokoll strukturieren und drängen
Aufgrund der Strukturierung durch die UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und durch den Meilenstein in der internationalen Zusammenarbeit, das Kyoto Protokoll, werden Aspekte der Nachhaltigkeit nun allerdings für jedes Unternehmen zwingender. Es ist davon auszugehen, dass über kurz oder lang die Planung und Durchführung von Produktionsprozessen ohne Nachhaltigkeits-Check nicht mehr möglich sein wird. So stellt sich die Nachhaltigkeitsfrage auch für die Herstellung von Bauteilen durch zerspanende Bearbeitung. Wie können Produktionsprozesse nachhaltig gestaltet werden? Welche SDGs können in der Prozesskette der Zerspanung adressiert und verfolgt werden? Und welche Bewertungsmaßstäbe können zu diesem Zweck genutzt werden?
Zunächst sollen hier Nachhaltigkeitsstrategien für Anwender von Bearbeitungsmedien aufgezeigt werden. Anschließend zeigen Praxisbeispiele wie in der Prozesskette Zerspanung Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen der Strategien sinnvoll berücksichtigt werden können. So werden bei Oemeta im Wesentlichen die SDGs 3, 6, 12 und 13 für den Kontext von Kühlschmierstoffen herangezogen. Für die Umgestaltung der EU-Wirtschaft für eine nachhaltige Zukunft wird als Aktionsplan der EU Green Deal herangezogen und somit auf den Klima- und Umweltschutz fokussiert.
- Förderung einer effizienteren Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft
- Wiederherstellung der Biodiversität und Bekämpfung der Umweltverschmutzung mit dem Hauptziel: 2050 sollen keine Netto-Treibhausgasemissionen in der EU mehr freigesetzt werden.
Geändertes Prozessdesign und moderne Produkte punkten
Einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit in zerspanenden Bearbeitungsprozessen kann schon das Prozessdesign leisten. Lässt es sich energieoptimiert und ressourcenschonend auslegen, kann das starke Nachhaltigkeitseffekte mit sich bringen. So können Kreislaufprozesse, In-Process Recycling, und Systeme zur Entölung von Spänen verbrauchte und ausgeschleppte Bearbeitungsmedien zurückgewinnen. Hier liegt es auch in der Verantwortung des KSS-Herstellers, nicht nur seine Produkte bereitzustellen, sondern auch entsprechend zu beraten und an die Entscheidungsfreudigkeit sowie Entschlossenheit der Prozessverantwortlichen zu appellieren. Wird das Design der Prozesskette angepasst, kann das die Umwelt entlasten und zugleich Prozesskosten reduzieren.
Ein großer Hebel steckt jedoch im Produkt selbst. So hat Oemeta in der letzten Dekade biozidfreie Bearbeitungsmedien entwickelt, die die gleiche Leistung und teilweise längere Lebensdauer bieten, als die biozidhaltigen Vorgängerprodukte. Allein diese Umstellung im Bearbeitungsprozess
- reduziert die Gefährdung der Mitarbeiter,
- gefährdet die Umwelt weniger, und
- mindert den Verbrauch
Die größten Nachhaltigkeitseffekte hat der Hersteller durch den Verzicht auf Mineralöl erreicht. Die Entwicklung eines mineralölfreien Kühlschmierstoffs auf Esterbasis zu einem 2-Komponenten Multifunktionsöl (MFO) überzeugt allerdings nicht nur, weil es auf fossile Stoffe verzichtet. Es verbindet nämlich darüber hinaus Reinigungs- und Bearbeitungsprozesse. Dabei sind Multifunktionsöle optimiert für verschiedenste Anwendungen in der Werkzeugmaschine und der Prozesskette. So fungiert es gleichermaßen als Hydrauliköl, KSS, Schneidöl, oder auch als Reiniger. Werden verschiedene MFOs des gleichen Systems in ein und derselben Prozesskette zugleich in verschiedenen Funktionen eingesetzt, ist der ungewollte Kontakt der verschiedenen Medien völlig unproblematisch, denn die Produkte sind voll kompatibel.
Kann das Design einer Prozesskette auf die Eigenschaften des MFO angepasst werden, erreichen Anwender schnell sehr überzeugende Nachhaltigkeitseffekte, nämlich:
- der Verbrauch an Kühlschmierstoff verringert sich erheblich,
- Reinigungsprozesse entfallen,
- Hydraulik- und Führungsbahnöle können recycelt werden,
- Der Energieverbrauch reduziert sich,
- Nachwachsende Rohstoffe ersetzen fossile, petrochemische Rohstoffe
Reraffinate und Multifunktionsöle bringen riesige Effekte
Zwei Beispiele sollen belegen, dass das Thema Nachhaltigkeit auch bei Bearbeitungsmedien wie Kühlschmierstoffe das Erreichen der UN-Ziele forcieren kann:
Da die aktuellen Aufbereitungsverfahren von Ölen Zweitraffinate hervorbringen, deren Qualität denen der Erstraffinate in nichts nachstehen und mit denen sich auch niedrige Viskositäten realisieren lassen, hat ein Getriebehersteller einen großen Teil der gesamten Zahnradherstellung auf ein reraffinatbasiertes Hochleistungsbearbeitungsöl umgestellt.
Das Öl hat eine Viskosität von 15 mm2/s und wurde für alle üblichen Zahnradbearbeitungsprozesse konzipiert. Etwa ein Jahr wird ausführlich getestet. Danach wird komplett umgestellt. Seitdem wird das Öl ohne erkennbare Nachteile gegenüber des früheren Erstraffinats eingesetzt. Die Emission ist pro Tonne Öl um eine Tonne CO2 geringer. Der Jahresbedarf an Bearbeitungsmedium beträgt mehrere 100 to. Das Beispiel zeigt, wie sich durch enge Kooperation des Ölherstellers mit dem Anwender die CO2-Emission erheblich reduzieren lässt. Und das kosten- und leistungsneutral.
Anfang der 2000er Jahre stellt ein Premium-Automobilhersteller seine Kurbelwellenfertigung auf das esterbasierte mineralölfreie MFO-Produktsystem "HYCUT" von Oemeta um. Weil das Layout der Produktionslinie für die Kurbelwellen häufige Wechsel zwischen Bearbeitungsöl und Emulsion aufweist, wird die Produktionskette auf die Eigenschaften der kompatiblen Schmierstoffe ausgelegt. Da die wassergemischten Flüssigkeiten mit den nicht wassergemischten zu einhundert Prozent kompatibel sind, gibt es in der Kurbelwellenlinie keine Unverträglichkeiten an den Wasser/Öl-Grenzflächen.
So entfallen drei Zwischenwäscher, die bei konventionellen Medien hätten installiert werden müssen. Das senkt die Investitionskosten erheblich. Recyclingmaßnahmen bringen weitere Vorteile: So wird die Reinigungsflüssigkeit aus dem verbleibenden Zwischenwäscher für weitere Verwendung aufbereitet. Vor der Induktivhärteanlage wird ein ölfreies MFO-Produkt zur Teilereinigung eingesetzt. Über die Teile eingebrachtes MFO-Tiefbohröl wird im Waschmedium emulgiert. Dadurch entsteht eine wertvolle Hochleistungsemulsion, die wiederverwertet werden kann.
Zusammenfassend ergeben sich folgende Vorteile:
- Niedrigere Investitionskosten
- Bessere Prozesssicherheit
- Geringerer Flüssigkeitsverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen Produkten
Umwelt, Wirtschaft und soziale Akzeptanz im Blick
Vielleicht denken beim Kühlschmierstoff jetzt ein paar mehr Verantwortliche von Bearbeitungsprozessen an das Thema Nachhaltigkeit. Die geschilderten Möglichkeiten, Fakten und Beispiele machen es wert. Und wirtschaftlich zahlt es sich auch aus – ganz zu Schweigen von der immer bedeutender werdenden sozialen Akzeptanz von Unternehmen im Lichte wichtiger UN-Ziele.