„Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden kann“, sagte 1987 Bundespräsident Richard von Weizsäcker und unterstrich damit die Bedeutung des Rechts auf eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das viele dieser Barrieren noch im Weg stehen, erlebte Roland Arnold 1997 an einer Autobahnraststätte, als der gelernte Kfz-Mechaniker von der Schwäbischen Alb einer Frau half, ihren Mann vom Rollstuhl in das Auto umzusetzen. Er wollte und sollte nicht wie ein Gepäckstück im Kofferraum transportiert werden. Der Versuch misslang bei strömendem Regen erst einmal. Triefend nass kam Roland Arnold mit der Frau ins Gespräch und fuhr - getrieben von der Idee - dass es dafür eine bessere Lösung geben muss, zurück in die heimische Werkstatt. Seitdem tüftelt er unermüdlich an technischen Lösungen und übernimmt dafür die unternehmerische Verantwortung.
Die Idee des barrierefreien Fahrzeugs
Das war die Geburtsstunde von PARAVAN. Der Firmenname entstand aus dem Kunstwort Paraplegie – „PARA“ und „VAN“ – das optimale Fahrzeug für solch eine Art Umbau. In seiner Werkstatt auf dem elterlichen Hof arbeitete er fortan an einer Lösung für das barrierefreie Auto, das den Menschen ein Stück Unabhängigkeit und Lebensqualität zurückgeben sollte. Daraus entstand 1998 der erste barrierefreie Chrysler Voyager mit einem von der A- bis zur C Säule tiefergelegten Fahrzeugboden für mehr Kopffreiheit für Rollstuhlfahrer und einer seitlichen Rampe auf der Beifahrerseite. Nun konnte ein Rollstuhlfahrer vor das Lenkrad fahren und sein Fahrzeug direkt selbst steuern, oder auf dem Beifahrersitz platziert werden. Auch den TÜV konnte er letztendlich überzeugen. 1998 wurde er für sein Engagement mit dem Innovationspreis der Handwerkskammer Reutlingen ausgezeichnet. Der Tüftlergeist des findigen Schwaben sprach sich schnell rum. Viele seiner Kunden steuerten damals bereits ihren Elektrorollstuhl per Joystick - für Roland Arnold lag die nächste Herausforderung auf der Hand: Das muss doch auch im Auto möglich sein!
Space Drive: Was mit dem Rollstuhl funktioniert, muss auch im Auto funktionieren
Eine straßenzugelassene Lösung dafür gab es damals noch nicht. Roland Arnold recherchierte und wurde fündig. Ein Drive-by-Wire-System musste her, mit dem man mit individuellen Eingabegeräten (Joystick, Minilenkrad oder Gas-Bremsschieber) Gas, Bremse und Lenkung eines Autos bedienen kann – abgestimmt auf das jeweilige Beschwerdebild. Über die Eingabegeräte werden per Kabel elektrische Signale über eine redundante Steuereinheit an entsprechende Elektromotoren (Aktuatoren) übertragen, welche die Signale in Lenkbewegungen bzw. Gas- oder Bremssignale umsetzen. Somit kann mit minimalem Kraftaufwand ein Auto gesteuert werden. Bis dahin gab es kein straßenzugelassenes System in Deutschland und auch keine Bestimmungen, wie so ein System zugelassen werden könnte. Roland Arnold nahm die Herausforderung an und brachte 2003 – vor genau 20 Jahren – das erste Drive-by-Wire System auf die Straße. 2005 erfolgte die endgültige TÜV-Zulassung für die erste Generation Space Drive. Von da an konnten Menschen mit deutlichen Bewegungs- und Krafteinschränkungen wieder selbständig ein Fahrzeug führen und am Leben teilhaben – ein deutliches Plus an Lebensqualität.
Elektrorollstuhl als Fahrersitz – selbstverständlich crashgetestet
In den folgenden Jahren wurde die Technologie und das Produktportfolio stetig weiterentwickelt. Hinzu kamen weitere Produkte, die den Weg in das Fahrzeug ebnen, wie der PARAVAN-Kassettenlift oder die Transferkonsole, die ein Umsetzen ins Fahrzeug ermöglicht; Eingabehilfen für die Sekundärfunktionen eines Fahrzeuges per Knopf oder Schalter sowie 2008 die Entwicklung eines Elektrorollstuhls, der über eine Dockingstation fest mit dem Auto verbunden und als Fahrersitz zugelassen ist – crashgetestet. Ein Elektrorollstuhl der explizit für diesen Zweck entwickelt wurde, gab es bis dahin nicht auf dem Markt – zu klein die Marge – und für Roland Arnold Ansporn, die Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen. Damit war ein deutlich sichereres und auch komfortables Fahren gewährleistet. Der PR 50 verfügt über ein integriertes Drei- oder Vier-Punkt-Gurtsystem, abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse des Fahrers. Auf alle anderen Vorzüge wie beispielsweise Kantelung, Höhenverstellung, R-Net-Steuerung oder die individuelle Anpassung durch ein Sanitätshaus muss ebenfalls nicht verzichtet werden. Mittlerweile ist das PARAVAN-Elektro-Rollstuhlportfolio auf acht Modelle angewachsen: vom Kindermodell, über den Allrounder PR 30/II, Stehrollstühlen für Kinder und Erwachsene bis hin zur Heavy-Duty-Anwendung für übergewichtige Menschen. Zudem verfolgt das Unternehmen einen 360 Grad-Ansatz: Alles aus einer Hand, von der ersten Beratung, über die PARAVAN-Fahrschule bis zur Auslieferung des individuell angepassten Fahrzeuges. Die PARAVAN GmbH unterhält eine Niederlassung in Heidelberg mit einer ähnlichen Angebotspalette, inklusive einer behindertengerechten Fahrschule sowie Partnerbetriebe in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Ostdeutschland sowie Lizenzpartner in über 20 Ländern in und außerhalb Europas.
Space Drive 2 - Zeitenwende in der Automobilindustrie
Frühzeitig erkennen die Aichelauer Mobilitätstüftler, dass Space Drive nicht nur ein innovatives Fahr- und Lenksystem für die Behindertenmobilität darstellt, sondern auch ein breites Anwendungspotential außerhalb der Handicap-Lösungen birgt, von Transport und Logistik, über Landwirtschaft und Bergbau bis hin zum autonomen Fahren. Erste Anfragen aus der Industrie ließen nicht lange auf sich warten. Wenn Fahrzeuge in Zukunft über ein automatisiertes Fahrsystem, Sensoren oder KI gesteuert werden, ist eine Lenksäule im Fahrzeug nicht mehr notwendig. Getrieben von dieser Idee, entwickelt Roland Arnold die Technologie weiter. 2013 erhält Space Drive 2, mit einer einzigartigen Sicherheitsarchitektur die Straßenzulassung. Entwickelt wurde das dreifach redundante System nach den höchsten Sicherheitsstandards. Um die Technologie in Serienreife zu bringen, geht Roland Arnold Partnerschaften und Kooperationen mit anderen Unternehmen ein und testet die Technologie unter extremen Bedingungen. 2019 wagt er den Schritt in den Motosport und bringt den weltweit ersten Rennwagen ohne mechanische Verbindung zwischen Lenkeinheit und Lenkgetriebe auf die Rennstrecke. Das Ziel: Daten zu generieren, die wichtig sind für die weitere Entwicklung neuer Technologien in diesem Bereich. Es folgen Einsätze beim 24h-Rennen am Nürburgring, in der DTM, GT-Masters und beim GTC Race.
Herausforderungen der New Mobility
Vor dem Hintergrund des tiefgreifenden Wandels in der Automobilindustrie werden die Herausforderungen für die Mobilitätstüftler nicht kleiner. Modellwechsel der Fahrzeuge passieren deutlich schneller als früher, hinzu kommen mit der Elektromobilität weitere technische Herausforderungen (zulässiges Gesamtgewicht der Fahrzeuge). Viele der beliebten Modelle sind als Verbrenner gar nicht mehr im Angebot, neue Fahrzeugalternativen müssen her, wie zuletzt der Hyundai Staria. Zukünftige autonome Fahrzeuge müssen barrierefrei sein, nicht nur mit Blick auf den Zugang ins Fahrzeug, sondern auch hinsichtlich von intelligenten und anpassungsfähigen Eingabegeräten. Nur so kann die zunehmende Automatisierung, beispielsweise durch Assistenzsysteme, auch Menschen mit Handicap zugutekommen und den Nutzerkreis weiter vergrößern. Hier liegt der zukünftige Entwicklungsschwerpunkt der PARAVAN GmbH.
„Mein Anspruch war immer unsere Kunden mit Handicap wieder ihre eigenstängige Mobilität zurückzugeben, völlig unabhängig von der individuellen Einschränkung, dass sie wieder Autofahren und wieder am sozialen Leben teilnehmen können – ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein“, sagt Roland Arnold. „Das war und ist für mich immer die Herausforderung und eine ganz besondere Aufgabe.“