„Christian Haass zählt weltweit zu den führenden Experten für die molekularen Mechanismen der Alzheimer-Erkrankung“, so Professor Pierluigi Nicotera, Vorstandsvorsitzender des DZNE. „Ihm verdanken wir wegweisende Erkenntnisse über Eiweißstoffe und Immunreaktionen, die an Alzheimer beteiligt sind. Damit hat Christian Haass die Grundlagen für neue Ansätze in der Therapie und Diagnose geschaffen. Er hat die Alzheimer-Forschung in den vergangenen 30 Jahren maßgeblich geprägt und tut dies bis heute.“
„Mit diesem Preis wollen wir einerseits herausragende Forscherpersönlichkeiten ehren und anderseits helfen, Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen aus der Tabuzone in die öffentliche Diskussion zu holen“, sagt Olaf Piepenbrock, Geschäftsführender Gesellschafter der Piepenbrock Unternehmens-gruppe. „Viele Patienten mit Alzheimer scheuen sich davor, über ihre Erkrankung zu sprechen, denn sie haben Sorge vor gesellschaftlicher Ausgrenzung. Wir möchten sowohl für mehr Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit Alzheimer als auch für bessere Therapien sorgen. Auch die Bedürfnisse der Angehörigen sollten stärker thematisiert werden. Denn meist schultern sie zu einem erheblichen Teil die tägliche Pflege und Versorgung.“
Auszeichnung für Spitzenforschung
Seit 2011 zeichnet der „Hartwig Piepenbrock-DZNE Preis“ alle zwei Jahre herausragende Forschung über neurodegenerative Erkrankungen aus. Merkmale dieser Erkrankungen – darunter Alzheimer, Parkinson und ALS – sind Beeinträchtigungen der Nervenfunktion bis hin zum Verlust von Nervenzellen. Mögliche Folgen sind Demenz und Bewegungsstörungen. Der Preis wird von der Piepenbrock Unternehmensgruppe gestiftet und im Andenken an deren ehemaligen geschäftsführenden Gesellschafter vergeben. Hartwig Piepenbrock verstarb 2013 an den Folgen einer Demenzerkrankung. Er hatte sich über viele Jahre für Kunst, Wissenschaft und die Gesellschaft engagiert. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch ein internationales Komitee unter Koordination des DZNE. In diesem Jahr wird der Preis zum fünften Mal verliehen.
Hintergrundinformation über den Preisträger
Christian Haass, geboren 1960 in Mannheim, studierte Biologie in Heidelberg. Danach forschte er in den USA an der Harvard Medical School und wurde dort schließlich Assistenzprofessor für Neurologie. Es folgte eine Professur am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (Universität Heidelberg). Im Jahre 1999 wurde er Lehrstuhlinhaber für Biochemie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und Leiter der Abteilung Stoffwechselbiochemie am Biomedizinischen Zentrum der LMU. Seit 2009 ist Haass zudem Sprecher des DZNE-Standorts München.
Anfang der 1990er-Jahre begann Haass sich mit dem Eiweißstoff „Amyloid-Beta-Peptid“ zu befassen. Bei Menschen mit Alzheimer verklumpt dieses Molekül und lagert sich in Form von „Plaques“ im Hirngewebe zwischen den Nervenzellen ab. Entgegen der damaligen Auffassung konnte Haass nachweisen, dass das Amyloid nicht notwendigerweise Bestandteil krankhafter Prozesse ist, sondern auch im gesunden Gehirn vorkommt. Heute wird daher angenommen, dass bei einer Alzheimer-Erkrankung die Produktion oder der Abbau dieses Proteins gestört ist. In der Tat fand Haass später heraus, wie genetische Mutationen, die mit seltenen und früh auftretenden Formen der Alzheimer-Erkrankung einhergehen, eine Überproduktion von Amyloid verursachen. Infolgedessen kommt es zur Anhäufung dieses Eiweißstoffes im Gehirn und zur Entstehung der charakteristischen Plaques. Haass‘ Forschung lieferte wichtige Erkenntnisse darüber, wie das Amyloid unter der Wirkung bestimmter Enyzme (Sekretasen) aus einem größeren Molekül (Amyloid-Vorläuferprotein) hervorgeht. Seine Arbeiten und die weiterer Wissenschaftler führten letztlich zur Formulierung der „Amyloid-Kaskadenhypothese“. Dieser zufolge spielt das Amyloid nicht nur bei der erblich bedingten Form von Alzheimer eine wichtige Rolle, indem es eine Reaktionskette in Gang setzt, die letztlich zum Tod von Hirnzellen führt. Das gilt auch für die weitaus häufigere, der sogenannten sporadischen Variante von Alzheimer.
Christian Haass bereitete somit den Weg für therapeutische Ansätze, die darauf abzielen, die Entstehung von Amyloid-Aggregaten zu unterbinden oder deren Abbau zu fördern. Bislang konnten klinische Studien, die auf diesem Konzept beruhen, den Rückgang der Gedächtnisleistung zwar nicht aufhalten – es wird jedoch vermutet, dass diese Therapieversuche zu spät einsetzten. Denn es wurden Personen behandelt, die bereits Symptome von Demenz aufwiesen. Doch die Hirnschädigungen beginnen viele Jahre vorher – lange bevor sich Symptome bemerkbar machen. Daher werden Therapien, die beim Amyloid ansetzen, auch weiterhin als mögliche Strategie gegen Alzheimer verfolgt.
In jüngsten Jahren dehnte Haass seine Forschung auf weitere Aspekte der Alz-heimer-Erkrankung aus und untersuchte die Rolle der Immunzellen des Gehirns: der „Mikroglia“. Er stellte fest, dass vor allem im frühen Krankheitsstadium ein molekularer Schalter (das TREM2-Protein) die Mikroglia dazu veranlasst, Ablagerungen von Amyloid zu beseitigen. Haass entwickelte daraufhin ein neuartiges Therapie-Konzept: Per Einwirkung auf TREM2 zielt dieses Konzept darauf, den Abbau von Amyloid-Aggregaten durch die Mikroglia zu fördern. Dieser Ansatz wird inzwischen in Kooperation mit Industriepartnern erforscht. Des Weiteren fand Haass heraus, dass die Konzentration von TREM2 im Nervenwasser zunimmt, wenn die Mikroglia aktiviert werden. Insofern könnte TREM2 als Biomarker dienen und dazu beitragen, Alzheimer bereits im Frühstadium und noch vor dem Auftreten von Demenzsymptomen zu erkennen.
Für seine Forschung wurde Christian Haass schon mehrfach geehrt – unter anderem mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und zuletzt 2018 mit dem Brain Prize, der weltweit bedeutendsten Auszeichnung für Hirnforschung.
Über das DZNE
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und entwickelt neue Strategien zur Prävention, Therapie, Pflege und Patientenversorgung. Durch seine zehn Standorte (Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen, Ulm und Witten) bündelt das DZNE exzellente, über Deutschland verteilte Expertise innerhalb einer einzigen Forschungseinrichtung. Zugleich koope-riert es eng mit Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen. Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft: www.dzne.de