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Steigende Arbeitskosten

Deutschland weiterhin im westeuropäischen Mittelfeld

(PresseBox) (Leipzig, )
(IMK) Deutschland liegt bei den Arbeitskosten für die Privatwirtschaft weiterhin im Mittelfeld der alten EU - 2011 mit 30,10 Euro pro Arbeitsstunde an siebter Stelle unter den EU-Ländern. Das ist die gleiche Position wie 2010. Höhere Arbeitskosten weisen wichtige Handelspartner wie die Niederlande, Frankreich, Schweden und Belgien auf. Belgien hatte im vergangenen Jahr mit 39,30 Euro pro Stunde die höchsten Arbeitskosten in Europa. Geringfügig niedriger als in Deutschland sind die Arbeitskosten in Finnland und Österreich. In den Krisenländern Irland, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal reichen sie von 26,80 bis 12 Euro pro Stunde. Zu diesen Ergebnissen kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis der neuesten verfügbaren europäischen Daten.

Hervorragende internationale Wettbewerbsfähigkeit

"Die Zahlen unterstreichen, was wir an vielen Parametern ablesen können: Deutschland ist ein Land mit hervorragender internationaler Wettbewerbsfähigkeit", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. "Doch das ist nicht nur eine gute Nachricht. Die Kehrseite ist eine langjährige relativ schwache Entwicklung bei Löhnen und Binnennachfrage. Seit Jahren exportieren wir weitaus mehr als wir einführen. Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind nach wie vor so groß, dass sie unsere Handelspartner in der europäischen Währungsunion und auch außerhalb unter großen Druck setzen, und das macht es so schwer, die Krise im Euroraum zu bewältigen."

Gegenläufige Entwicklung

Zwar stiegen die deutschen Arbeitskosten nach Analyse der IMK-Experten Dr. Sabine Stephan, Dr. Ulrike Stein und Dr. Rudolf Zwiener 2011 mit 3 Prozent zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 etwas stärker an als im Durchschnitt von Euroraum und EU (je 2,7 Prozent). Im ersten Halbjahr 2012 habe sich das Wachstum etwas abgeschwächt fortgesetzt (2,2 Prozent in Deutschland, 2 Prozent im EU-Mittel, 1,8 Prozent im Durchschnitt der Euro-Länder). Doch dem steht eine langjährige gegenläufige Entwicklung gegenüber, zeigt die Untersuchung: Von 2000 bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wuchsen die Arbeitskosten in Deutschland im Jahresdurchschnitt um lediglich 1,8 Prozent, während es im Mittel der Währungsunion 3 und im Durchschnitt der EU 3,6 Prozent waren. Selbst im Mittel der Jahre 2008 bis 2011 blieb der Anstieg in Deutschland mit 2 Prozent pro Jahr erneut unter der Entwicklung in Eurozone und EU (2,3 Prozent) - trotz zum Teil drastischer Rückgänge in den Euro-Krisenstaaten. Der gleiche Trend zeigt sich bei den Lohnstückkosten, welche die Arbeitskosten ins Verhältnis zur Produktivität setzen.

Stärkeres Wachstum der Arbeitskosten hilft bei Euro-Stabilisierung

"Wenn die Arbeits- und die Lohnstückkosten jetzt bei uns schneller wachsen als in den Krisenländern, ist das ein notwendiger, richtiger erster Schritt. Wir erleben ja derzeit die positiven Auswirkungen: Höhere Löhne bei stabiler Beschäftigungsentwicklung schaffen die Voraussetzungen für einen relativ kräftigen privaten Konsum. Der stützt die deutsche Konjunktur. Aber dieser Prozess muss sich fortsetzen. Um die Währungsunion wieder in die Balance zu bringen, müssen nicht nur die Defizit-, sondern auch die Überschussländer reagieren", sagt Horn. "Das geschieht bislang kaum." So haben nach IMK-Berechnungen Irland, Spanien und Portugal ihre Lohnstückkosten bis Mitte 2012 so stark gesenkt, dass deren Entwicklung über die gesamte Zeit der Währungsunion gerechnet wieder in Einklang mit dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen: Knapp zwei Prozent Zunahme pro Jahr. Deutschland mit seiner schwachen Lohnentwicklung habe hingegen das EZB-Inflationsziel lange Zeit deutlich unterschritten. Wäre dieses seit Existenz der Währungsunion eingehalten worden, lägen die Arbeits- und Lohnstückkosten in Deutschland um 16 Prozent höher als sie es heute tatsächlich sind. "Allein die enormen Kosten, die jetzt bei der Rettung des Euro drohen, machen deutlich, dass die Fixierung vieler Ökonomen und Politiker auf möglichst niedrige Löhne und Arbeitskosten ein Fehler ist. Das ist keine nachhaltige Strategie für mehr Wohlstand ", sagt Horn.

Sozialen Sicherungssysteme in Deutschland geschwächt

Darüber hinaus hat die relativ schwache Lohnentwicklung im vergangenen Jahrzehnt nach der IMK-Untersuchung auch die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland geschwächt: Seit Gründung der Währungsunion 1999 ist die Wirtschaft in Deutschland um gut 20 Prozent gewachsen, analysieren die Wissenschaftler. Die realen Rentenzahlbeträge gingen im gleichen Zeitraum aber um beinahe 20 Prozent zurück. "Ein erheblicher Teil dieser Entwicklung ist den geringen gesamtwirtschaftlichen Lohnsteigerungen in dieser Zeit geschuldet", schreiben die Forscher.

Arbeitskosten 2011: 30,10 Euro pro Stunde

Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie als Arbeitskosten geltende Steuern. Die IMK-Forscher nutzen für ihre Studie die neuesten verfügbaren Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat. Deren Arbeitskostenstatistik erlaubt einen Vergleich auf breiterer Basis als Datenquellen, auf die sich beispielsweise das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) bislang stützt.

2011 mussten deutsche Arbeitgeber in der Privatwirtschaft (Industrie und privater Dienstleistungsbereich) 30,10 Euro pro geleistete Arbeitsstunde aufwenden. Höher liegen die Arbeitskosten in sechs Ländern: In den Niederlanden, Luxemburg, Frankreich, Dänemark, Schweden und Belgien müssen zwischen 31 und 39,30 Euro pro Stunde ausgegeben werden. Praktisch auf gleichem Niveau wie in der Bundesrepublik sind die Arbeitskosten in Finnland (29,80 Euro), etwas niedriger in Österreich (28,90 Euro). Italien wies 2011 Arbeitskosten von 26,80 Euro auf. In den übrigen südeuropäischen EU-Staaten betragen sie zwischen 20,60 Euro (Spanien) und 12 Euro (Portugal). Die portugiesischen Arbeitskosten liegen damit unter denen im EU-Beitrittsland Slowenien, wo 14,40 Euro aufgewendet werden müssen. In der Tschechischen Republik, Ungarn und Polen liegen die Stundenwerte zwischen 10,60 und 7,10 Euro. Schlusslicht ist Bulgarien mit Arbeitskosten von 3,50 Euro pro Stunde.

Knapp 20 Prozent Abstand zwischen Industrie und Dienstleistungen

Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen 2011 die Arbeitskosten in Deutschland 34,30 Euro pro geleisteter Arbeitsstunde. Im EU-Vergleich steht die Bundesrepublik damit wie im Vorjahr an fünfter Stelle als Teil einer größeren Gruppe von Industrieländern, die mit knapp 31 bis knapp 41 Euro pro Stunde über dem Euroraum-Durchschnitt liegen. Dazu zählen auch Belgien mit industriellen Arbeitskosten von 40,70 Euro, Schweden (40,50 Euro), Dänemark (37,50 Euro) und Frankreich (35,50 Euro) sowie Finnland, die Niederlande, und Österreich (32,30 bis 30,90 Euro). Dabei ist nicht berücksichtigt, dass das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik stärker als in jedem anderen EU-Land von günstigeren Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich profitiert (mehr im folgenden Abschnitt). 2011 stiegen die industriellen Arbeitskosten in Deutschland um 3,9 Prozent. Das ist etwas mehr als der Durchschnitt in EU und Euroraum (3,1 Prozent). Im ersten Halbjahr 2012 wuchsen die Arbeitskosten der Industrie dagegen nur um 1,1 Prozent. Im Mittel des Euroraums waren es 1,9 Prozent, im Durchschnitt der EU 2,2 Prozent.

Im privaten Dienstleistungssektor lagen die deutschen Arbeitskosten 2011 mit 27,50 Euro an neunter Stelle nach den Benelux-Ländern, den nordischen EU-Staaten, Frankreich und Österreich. Den höchsten Wert wies Dänemark mit 40 Euro aus, der Durchschnitt im Euroraum beträgt 27,10 Euro. Gegenüber 2010 stiegen die Arbeitskosten im deutschen Dienstleistungssektor um 2,5 Prozent. Das entsprach dem Durchschnitt von Euroraum und EU. In der ersten Hälfte 2012 beschleunigte sich der Anstieg in Deutschland auf 3 Prozent. Dagegen stiegen im Euroraum -Durchschnitt die Arbeitskosten im Dienstleistungssektor nur um 1,8 und im EU-Mittel um 1,9 Prozent.

Industrie kann Vorleistungen günstiger einkaufen

Der Rückstand der Arbeitskosten im Dienstleistungssektor hinter denen im Verarbeitenden Gewerbe ist in Deutschland nach wie vor größer als in jedem anderen EU-Land. Er beträgt knapp 20 Prozent. Vom vergleichsweise niedrigen Arbeitskostenniveau in den deutschen Dienstleistungsbranchen profitiert auch die Industrie, die dort Vorleistungen nachfragt. Die Kosteneinsparung für die Industrie durch den "Vorleistungseffekt" liegt nach Schätzungen verschiedener Institute bei knapp sechs bis 13 Prozent. Das IMK hält einen Vorleistungseffekt für realistisch, der zwischen diesen Werten liegt. Während der Dienstleistungssektor die Industrie hierzulande bei den Arbeitskosten entlaste, sei es insbesondere in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern umgekehrt, betonen die Forscher: "Das relativiert die Unterschiede bei den Arbeitskosten zwischen Deutschland und diesen Ländern erheblich."

Lohnstückkosten: Jährlich 0,7 Prozent Zunahme von 2000 bis 2011

Die Lohnstückkosten, welche die Arbeitskosten in Relation zur Produktivitätsentwicklung setzen, sind in Deutschland zwischen Anfang 2000 und Mitte 2012 um lediglich knapp 0,7 Prozent im Jahresmittel gestiegen - und damit deutlich langsamer als im Euroraum insgesamt (+1,8 Prozent). Zwischen 2000 und dem Beginn des Jahres 2008 stagnierten sie sogar. Im Zuge der Wirtschaftskrise, als Unternehmen die Arbeitszeit verkürzten und so Beschäftigung hielten, stiegen die deutschen Lohnstückkosten dann deutlich stärker als im Euroraum-Durchschnitt. Mit dem Ende der Krise im Jahr 2010 hat sich der Zuwachs wieder verlangsamt.

Symmetrische Anpassung gefordert

2011 betrug der Zuwachs in Deutschland 1,3 Prozent, im Euroraum-Durchschnitt 0,9 Prozent. Im ersten Halbjahr 2012 sind die Lohnstückkosten in Deutschland gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 2,5 Prozent gestiegen, im Mittel des Euroraums um 1,5 Prozent. Auch wenn sich der über Jahre aufgelaufene Abstand zwischen Deutschland und seinen Euro-Partnern dadurch etwas verringere, sei das "für die Krisenländer zu gering, um nennenswert an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen", schreiben die Forscher. Gefordert sei eine symmetrische Anpassung, der sich Deutschland letztlich nicht entziehen dürfe, wenn die Krise überwunden werden soll.

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