Der Abend lieferte eine lokale „Roadmap“ für den Wechsel in eine umweltfreundliche Stromversorgung – und lockte rund 150 Interessierte in die Balinger Stadthalle. Auf Einladung von Bündnis 90 – die Grünen sprach dort Christopher Seng, Energieexperte bei der Balinger Firma relatio, neben anderen Experten über Herausforderungen und Chancen der lokalen Energiewende.
Den passenden Einstieg in den spannenden Vortags- und Diskussionsabend lieferte die Hechinger Physikerin Almut Petersen. „Je schneller wir die Energiewende schaffen, desto weniger Geld geht verloren“, lautete ihre These. Als große Geldvernichter führte sie außer Rohstoff-Verbrauch und Umweltschäden nicht zuletzt die Gewinne der Energiekonzerne an: „Die Menschen vor Ort haben die Energiewende vorangetrieben – nicht die riesigen Konzerne. Denen waren die Gewinne nicht groß genug.“ Die Kosten für den PV-Strom seien sicher nicht die Preistreiber: Der Solarstromanteil am Bruttostromverbrauch wachse hierzulande in den nächsten Jahren zwar – von 3,2 Prozent im Jahr 2011 auf geschätzte 6,8 Prozent im Jahr 2016. Dies gelte jedoch nicht für den Verbraucherstrompreis: „Dieser steigt von 24,0 Cent pro Kilowattstunde auf 28,2 Cent pro Kilowattstunde im gleichen Zeitraum. In absoluten Zahlen stehen sich rund 110 Prozent etwa 2,5 Prozent gegenüber.“ Eine aktuelle Herausforderung liege darin, dass der existierende Kraftwerkspark ohne „Erneuerbare“ dimensioniert worden sei: „Unflexible Kraftwerke produzieren mit hoher ökologischer Belastung Strom, den keiner braucht, wenn Erneuerbare zur Verfügung stehen.“
Auf die Frage, wie die zukünftige Energieversorgung in Kreis und Land aussehen solle, gab es für die Referentin nur eine Antwort: „100 Prozent erneuerbar und möglichst umweltverträglich.“ Der richtige Weg führt für die Expertin weg von der externen hin zu einer regionalen Energieversorgung: „Je regionaler, desto besser – und das in ökonomischer, technischer oder geopolitischer Hinsicht. Zum einen bleiben Steuergelder und Wirtschaftskraft vor Ort erhalten, zum anderen sind Leitungsverluste und die Abhängigkeit nach außen gering. Und nicht zuletzt sichert der regionale Weg Arbeitsplätze und Know-how.“ Im ureigensten Sinne sei dieses Konzept wesentlich demokratischer als die flächendeckende Versorgung durch Energiegiganten: „Je mehr Beteiligung durch die Bürger, desto besser.“ Als zweite Ausbaustufe empfahl die Referentin unter anderem, Wärme und Strom nicht länger getrennt zu betrachten. Deshalb sei der dezentrale Ausbau von regelbaren Blockheizkraftwerken mit Pufferspeichern notwendig.
Um die Wertschöpfungskette vor Ort ging es auch in dem kurzen Vortrag des relatio-Energieexperten Christopher Seng, der den erkrankten Geschäftsführer Bernd Bodmer vertrat. Das größte regionale Potenzial sah Seng klar im Mittelstand und in Energiegenossenschaften. Gerade bei der mittelständischen Industrie – wie sie im Zollernalbkreis zahlreich zu finden ist – stellten reine Energiekosten oft bis zu einem Viertel der Fertigungskosten dar. Genau diese Unternehmen benötigten Strom relativ gleichmäßig über den Tag verteilt: „Durch ein exakt auf sie ausgelegtes Hybrid-Kraftwerk könnten diese Firmen einen Teils ihres Stroms billiger selbst erzeugen – und das direkt vor Ort, nämlich auf ihrem Gelände.“ Dasselbe könnten Energiegenossenschaften für Privathaushalte tun. Eines lag Seng dabei besonders am Herzen: „Wir brauchen für die Stromwirtschaft dringend mehr Transparenz. Wenn man die Zusammensetzung eines durchschnittlichen Strompreises von 24,6 Cent pro Kilowattstunde für Haushaltskunden betrachtet, fällt auf, dass lediglich 14,7 Cent auf Erzeugung, Transport und Vertrieb fallen.“ Der Rest der Kosten verteile sich auf Mehrwertsteuer (4,2 Cent), EEG-Umlage (3,6 Cent), Stromsteuer (2,1 Cent) und Konzessionsabgaben (1,8 Cent). „Ich schätze, dass ist den wenigsten Stromkunden klar, wenn es pauschal immer heißt, die Regenerativen seien es, die die Strompreise nach oben treiben“, so Seng. Nicht vergessen werden dürfe dabei eines: „Die Regierung hat sehr viele energieintensive Industriekonzerne von der EEG-Umlage befreit. Genau diese Konzerne profitieren aber von den niedrigen Preisen an der Strombörse, gesunken durch den Photovoltaik-Zubau.“ Wenn jetzt die EEG-Umlage neuerlich steigt, zahlen die Zeche dafür Mittelständler und Privathaushalte.
Im Zollernalbkreis, bemerkte Seng zum Abschluss seiner Ausführungen süffisant, seien von der EEG-Umlage nicht einmal namhafte Arbeitgeber von Weltruf befreit: „Mein Rat: Unsere regionale Betriebe, egal ob Industrie oder Handwerk, müssen sich gemeinsam mit ihren Verbänden intensiv mit ihrer Energiesituation vor Ort auseinandersetzen. Und zwar jetzt.“