Der aus Österreich stammende Richard Neutra ist einer der berühmtesten Architekten des 20. Jahrhunderts. Über viele Jahre prägte er mit seinen modernistischen Wohnhäusern den kalifornischen Architekturtraum der 1950er bis 1960er Jahre. Auch heute noch inspirieren seine Bauten Generationen von Architekten. Sei es die Filigranität der Bauten durch die flachen, fliegenden Dächer und die großen Fenster- und Wasserflächen, die die Architektur mit der Landschaft verbinden, aber auch die spannungsreichen Raumerlebnisse, die mit der Gliederung der Baukörper entstehen. Auch für Familie Kemper entwarf Neutra eine Staffelung von drei Baukörpern, die auf dem landschaftlich reizvollen Grundstück auf einer Anhöhe in Gelpetal locker miteinander verbunden sind. Nach nur sieben Jahren ging die offene Wohnlandschaft an einen neuen Besitzer über. Die in dieser Zeit entstandenen Umbaumaßnahmen hatten den ursprünglichen Charakter des Hauses komplett verändert. Mit dem Anspruch, das Original wiederherzustellen, machten sich die Herings ans Werk.
Fließende Raumübergänge
Eine Qualität von Neutras Bauten ist die Zeitlosigkeit der Grundrisse und Raumzusammenhänge. Auf 380 Quadratmetern fand sich im Haus Kemper alles, was ein Haus benötigte – vom Au-pair-Zimmer bis zum „Gentlemen's Room“. Auch heute noch ist der großzügige offene Wohnraum das Herzstück des Hauses, er orientiert sich zur Gartenseite hin. Raumhohe Glasfronten mit großen Schiebeelementen lösen die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum auf. Eine Pergola mit den für Neutra typischen „spider legs“ und mit über die Fassade auskragenden, von Stützen abgefangenen Dachbalken verlängert den Wohnraum in die Natur. Die Küche mit den anschließenden Wirtschaftsräumen orientiert sich zum Innenhof und Birkenwald, während sich die privaten Rückzugsbereiche wie Schlafzimmer und Bäder im 1. Obergeschoss befinden. Lediglich die ehemalige Schwimmhalle hat eine neue Nutzung: als Präsentationsfläche für die schönsten Stücke der firmeneigenen Porscheaustellung. Das Volumen wird aufgelöst durch die Staffelung der Baukörper und die Setzung der sogenannten „reflection pools“, in deren Wasserflächen sich der Himmel und die Natur spiegeln.
Suchen und Finden
Bauen im Bestand stellt alle Beteiligten vor viele Hürden. Die Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes war die größte Herausforderung. „Wir haben während der Sanierung jeden Tag dazugelernt“, erzählt Manfred Hering. „Alte Pläne und Bilder aus der Bauzeit, aber auch Besuche im nahe gelegenen Haus Pescher von Richard Neutra, das sich noch zu großen Teilen im Originalzustand befindet, haben uns weitergeholfen.“
Wie bei den alten Porsche Automobilen, die so restauriert werden, wie sie damals vom Band gelaufen sind, galt es, das Haus in den Zustand von damals zurückversetzen. Dazu gehörten neben dem Update der Technik der Ersatz beschädigter Teile.
Wo ein Erhalt wegen schadhafter oder nicht mehr originalgetreuer Materialien nicht möglich war, galt es, auch die neu eingebauten Elemente mit einer Patina zu versehen. Über das Fotoarchiv des Architekturfotografen Karl Hugo Schmölz und das behutsame Offenlegen von Schichten konnte die Wand zwischen Wohn- und Essbereich, die auf der einen Seite aus Palisanderholz und auf der anderen Seite aus Esche besteht, gerettet werden.
Auch die Travertinböden im Innenraum und im Außenbereich wurden aufbereitet, ebenso Neutras horizontale Lichtbänder in der Decke. Ungewöhnlich war die Herangehensweise der Bauherren in einem weiteren Punkt: Das Paar bewohnte das Haus während des gesamten Umbaus. Denn nur so konnten sie Raum für Raum auf Spurensuche gehen und direkten Einfluss auf jede Entscheidung nehmen.
Sonderkonstruktion der Fassadenelemente
Gerade bei den großzügigen Festverglasungen und Schiebelementen mit ihren extrem filigranen Rahmen und Pfosten war die Anpassung an die heutigen technischen Anforderungen eine große Herausforderung. In einigen Bereichen waren die ursprünglichen Fenster noch erhalten und dienten als Blaupause für die neu angefertigten Glaselemente. Auch hier ist die Analogie zur Restauration der Oldtimer unverkennbar: Erfindungsreichtum und die Zusammenarbeit mit den passenden Partnern sind das Erfolgsrezept. Zusammen mit Alubau Puhlmann und Schüco entstand auf Basis des bestehenden Schüco Systems ASS 48 eine Sonderkonstruktion, die die statischen Anforderungen an die großformatigen Elemente erfüllt und zugleich eine manuelle Bedienung der Schiebeelemente mit filigranen Griffen erlaubt. Aufgrund der filigranen Sonderkonstruktion entschied man sich für eine Zweifachverglasung und eine zweigleisige Ausführung der Schiebeelemente. Für das wämegedämmte Schiebesystem wurden unter anderem neue Verhakungs- und Mittelpunktprofile entwickelt. Eine besondere Herausforderung bestand darin, die notwendige Dichtigkeit und Verriegelung zwischen fest stehenden und verschiebbaren Elementen zu gewährleisten. In den schmalen Blendrahmen sind kontaktlose Stromüberträger für die Verriegelung integriert, während für die Abdichtungsprofile mit dem 3D-Drucker der Entwicklungsabteilung von Schüco gearbeitet wurde. Eine nicht alltägliche Aufgabe, wie auch Josef Heisterkamp von Alubau Puhlmann bestätigt: „Das Ergebnis macht die vielen Einzelschritte, die bis hierher nötig waren, wett. Die Vorgabe an die gewünschte Optik und Bedienbarkeit, kombiniert mit den Möglichkeiten der modernen Technologien, macht das Projekt zu einem Meisterstück.“
Zeitlos gültige Architektur
Die Antwort auf die Frage, ob die Bauherren etwas anders gemacht hätten, wenn Richard Neutra für sie gebaut hätte, ist eindeutig. Das Haus ist perfekt, so wie es ist. Auch sechs Jahrzehnte nach seiner Realisierung besticht der durchdachte Grundriss und die Verbundenheit mit der Natur. Ein echter Ort der Rekreation, unweit der Großstadt. Das ist das größte Kompliment, was man der Architektur machen kann.
Bautafel
Projekttitel: Haus Kemper, Wuppertal
Architekt: Richard Neutra, 1961-67
Verarbeiter Metallbau: Alubau Puhlmann
Fertigstellung: 2021
Schüco Systeme im Objekt
Sonderkonstruktion auf Basis des wärmegedämmten Schiebesystems Schüco ASS 48