Worum es bei Redispatch 2.0 geht, erläuterte Rainer Stock, Bereichsleiter Netzwirtschaft beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) beim VIVAVIS-Anwenderforum 2020, das im Oktober in Schwäbisch Hall stattfand. Mit der Energiewende vollzieht sich eine Dezentralisierung des Energiesystems. Immer mehr Windenergie- und Fotovoltaik-Anlagen speisen fluktuierend Strom in die Netze der Mittel- und Niederspannung. Parallel werden Kern- und Kohlekraftwerke abgeschaltet. Damit fehlen den Übertragungsnetzbetreibern, bislang allein zuständig für Netzstabilität, Eingriffsmöglichkeiten bei Engpässen. Die Verteilnetzbetreiber müssen Verantwortung in der Mittel- und Niederspannung übernehmen.
EE- und KWK-Anlagen werden in die Pflicht genommen
Im Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) hat der Gesetzeber festgelegt, was zu tun ist. Die bisher geltenden Regelungen zum Einspeisemanagement von Erneuerbare-Energie (EE)-Anlagen und Kraft-Wärme-Kopplungs (KWK)-Anlagen werden aufgehoben und ein Redispatch-System eingeführt. Das bedeutet: Ab dem 1. Oktober 2021 werden auch EE- und KWK-Anlagen ab 100 kW Erzeugungsleitung sowie durch Netzbetreiber fernsteuerbare EE-Anlagen mit mehr als 30 kW Erzeugungsleistung in den Redispatch (Eingriff zur Anpassung der Leistungseinspeisung von Kraftwerken) einbezogen.
Die Einführung von Redispatch 2.0 geht mit neuen, komplexen Koordinierungs- und Datenaustauschprozessen einher, die eine intensive Kooperation der Netzbetreiber über alle Netzebenen hinweg erfordern. Um einen einheitlichen Lösungsansatz zu entwickeln, haben sich in der Branche zwei Initiativen gegründet: „Connect+“ und „DA/RE“.
Connect+ ist ein Umsetzungsprojekt der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber und von 16 Verteilnetzbetreibern, die gemeinsam ein System zur Datenverteilung im Redispatch-2.0-System entwickeln. Über die Plattform DA/RE („DAtenaustausch/REdispatch“), die gemeinsam von der TransnetBW und Netze BW entwickelt wird, erfolgt die Netzbetreiberkoordination. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall waren bereits in der Testphase als Netzbetreiber am Prototyp der Plattform angeschlossen. Die Plattform übernimmt neben der Netzbetreiberkoordination die Information aller am Prozess beteiligten Einsatzverantwortlichen und Netzbetreiber. Außerdem ist sie ein wichtiger Bestandteil der Redispatch-Prozesse und organisiert zudem die vertikale Abstimmung sowie den Datenaustausch zwischen den Netzbetreibern und den Einsatzverantwortlichen der Erzeugungsanlagen. Connect+ und DA/RE werden für den zukünftigen Datenaustausch eng verzahnt.
Vorbereitungen sind auf einem guten Weg
Peter Breuning, der bei beiden Projekten im Lenkungskreis mitarbeitet, berichtete von den Redispatch-2.0-Vorbereitungen der Stadtwerke Schwäbisch Hall. Er erläuterte Aufgabenumfang, Datenquellen, Prozesse und wie die Lasten für die eigenen drei Netzverknüpfungspunkte zum vorgelagerten Netzbetreiber (Netze BW GmbH) errechnet werden.
Bei der Prognose – im Redispacht-2.0-Szenario von zentraler Bedeutung – arbeiten die Stadtwerke Schwäbisch Hall mit dem Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) zusammen. Die ZSW-Software „GridSage“ rechnet Erzeugung und Last im Verteilnetz stündlich für die nächsten 36 Stunden hoch und prognostiziert die entsprechenden Werte. So kann die Schwäbisch Haller Netzleitstelle jederzeit mit aktuellen und belastbaren Fahrplänen arbeiten.
„Der Projektfahrplan für Redispatch 2.0 ist extrem eng“, erwartet Breuning herausfordernde Wochen und Monate. „Wir werden aber im Januar 2021 so weit sein, dass wir sowohl an DA/RE als auch an Connect+ angekoppelt sind. Dann können wir die Prozesse durchspielen und testen.“ Aufgrund der Vielzahl und Komplexität der neuen Aufgaben müsse alles hochautomatisiert funktionieren, weiß Breuning. „Wenn wir die Automatisierung nicht schaffen, stehen wir bei Redispatch 2.0 auf verlorenem Posten.“