Steigerung der Jahresproduktion von sechs Millionen Tonnen in 2016 auf knapp neun Millionen Tonnen in 2022: Mit einer solchen Zuwachsrate würde jedes produzierende Unternehmen zufrieden sein. Aber das Produkt, um das es geht, wird nicht industriell hergestellt, sondern geerntet: Die Rede ist von Avocados, und diese Steigerung ist ziemlich einzigartig in der Obst- und Gemüsewelt. Deutschland hat übrigens im Jahr 2023 rund 157.800 Tonnen Avocados importiert – fünfmal so viel wie zehn Jahre zuvor.
Weil Avocados nicht nur als Frucht verzehrt, sondern auch in Salaten und Bowls gegessen sowie zu Dips und Guacamole verarbeitet werden, entsteht bei solchen Mengen rasch die Frage nach der Automatisierung. Konkret entstand sie bei einem britischen Unternehmen, das u.a. Avocado-Toasts produziert. Weil das Schälen bzw. Auslöffeln einer Avocado eine ungesunde Drehbewegung der Hand erfordert, klagten die Mitarbeiter über Gelenkbeschwerden.
Erster Schritt: manuelles Schälen und Entsteinen
Das Unternehmen richtete die Frage an die Kronen GmbH in Kehl am Rhein – ein naheliegender Adressat, denn das Unternehmen ist weltweit bekannt als Spezialist für Anlagen, die Gemüse, Salat und Obst verarbeiten, das heißt unter anderem schneiden, schälen, entkernen, waschen, trocknen, entkeimen oder verpacken.
Die Kronen-Ingenieure lösten die Aufgabe, indem sie einen Schäldraht entwickelten, der auf einer Halterung fixiert ist. Der Anwender streift die halbierte Avocado in einer linearen Bewegung, ohne Drehung der Hand, über den Draht – und schon sind Schale und Fruchtfleisch getrennt, ebenso einfach wie wirkungsvoll. Diese Lösung wurde ins Programm aufgenommen und um den ebenfalls manuellen Arbeitsschritt des Entsteinens erweitert. Die Frucht wird dabei komplett halbiert, inklusive Stein.
Zweiter Schritt: Der Roboter übernimmt
Der zweite Schritt war dann durchaus mutig: Der Prozess sollte erstmals vollständig automatisiert werden. Wer auch nur einmal eine Avocado geschält hat, kann die Herausforderung ermessen. Die Schale ist nicht glatt, die Frucht empfindlich und ihre Härte bzw. ihr Reifegrad sehr unterschiedlich.
Eben wegen der Komplexität der Aufgabe wurde das Projekt mit den Mitteln des ZIM (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand) gefördert. Das Ergebnis hat Kronen erstmals auf den Fachmessen Fruit Logistica 2024 sowie auf der Anuga FoodTec 2024 präsentiert: eine kompakte Roboterzelle, die Avocados entsteint und schält.
Die Herausforderung: Wie greift man Avocados?
Von außen ist nur eine Aufnahmeschale zu sehen, in die der Bediener die Frucht einlegt. Über ein Transportband gelangt sie zur Messstation. Sie liefert dem Stäubli Roboter die Daten, die für ein ebenso schonendes wie sicheres „Zupacken“ nötig sind. Sein Vakuumgreifer wurde von einem Partner im ZIM-Projekt, dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnologie, kurz DIL, entwickelt. Er ist mit flexiblen Silikon-Einlagen ausgekleidet und ermöglicht es dem hygienegerechten Stäubli Roboter, die komplette Frucht schnell und gleichzeitig schonend in die Entsteinstation einzulegen. Hier fahren zwei Messer aufeinander zu, durchschneiden das Fruchtfleisch und klemmen die Avocado mittig am Stein.
Nun kann der Roboter durch eine Drehbewegung die eine Hälfte der Avocado vom Stein lösen. Diese Hälfte streift er über den Schäldraht und folgt dabei der Bahn, die sich aus den Daten der Vermessung am Eingang der Roboterzelle ergibt. Das Fruchtfleisch fällt in einen Ablagebehälter, die Schale lässt der Roboter in einen Abfallbehälter fallen. Die von Kronen entwickelten Werkzeuge und Verfahren, die der Roboter zum Entsteinen und Schälen von Avocados einsetzt, sind mittlerweile patentiert.
400 Avocados pro Stunde – geschält vom hygienegerechten Roboter
Anschließend wird die Entsteinstation um 180° gedreht und der Roboter schält mit der gleichen Bewegungsabfolge die zweite Avocado-Hälfte. Der noch zwischen den Messern fixierte Stein wird ausgeworfen, und der Vorgang ist abgeschlossen. Auf diese Weise können 400 Avocados pro Stunde verarbeitet werden – automatisiert, voll hygienisch.
Die Auswahl des Roboters fiel den Projektingenieuren leicht. Der TX2-60 von Stäubli in HE-Ausführung (für „Humid Environment“) bietet die erforderliche Geschwindigkeit und Präzision, die beim konturgenauen Bewegen der Avocado über das Schälmesser erforderlich ist. Zudem widersteht dieser Roboter – und das macht den Unterschied zu Standardmaschinen – dem in der Lebensmittelindustrie üblichen Reinigungsprocedere. Dafür sorgen u.a. eine spezielle Oberflächenbeschichtung und die innere Druckbeaufschlagung. Deshalb kommen die überaus langlebigen HE-Roboter von Stäubli in der gesamten Lebensmittelindustrie zum Einsatz – selbst unter höchsten Hygieneanforderungen.
Als weitere Pluspunkte der Stäubli Sechsachsroboter nennt Benjamin Keske, Projektmanager bei Kronen, die einfache Programmierbarkeit und die umfassende Kommunikation zwischen der Robotersteuerung und der Master-SPS. Nach einer Schulung bei Stäubli haben ein Kollege und er die Programmierung mit VAL 3 selbst übernommen: „Wir haben schon während der Schulung ein Programm aufgebaut, dessen Grundlagen wir verwenden und anpassen konnten.“
Großes Interesse, schnelle Amortisation
Nach der Präsentation des ersten Prototypen auf der Homepage und „live“ auf der Fruit Logistica sowie auf der Anuga FoodTec gab es gute Resonanz von Unternehmen, die Avocados verarbeiten. Benjamin Keske: „Wir haben Anfragen aus Australien, Mexiko, Neuseeland und den USA. In den Niederlanden ist aktuell eine Testmaschine im Einsatz, die zuvor auch bereits bei einem Kunden in Großbritannien getestet wurde.“
Für das starke Interesse gibt es gute Gründe: Das robotergestützte Schälen und Entkernen sorgt für eine ansprechende Optik des Fruchtfleisches, und das präzise Schälen entlang der Kontur gewährleistet eine gute Ausbeute. Weiterer Vorteil: Beim automatischen Schälen wird der Stein der Avocado nicht durchtrennt. Und auch der kommerzielle Aspekt spricht für den Einsatz der Robotik: Basierend auf Anwenderdaten amortisiert sich die Anlage in etwas mehr als einem Jahr.
Weiterentwicklung: Zellen mit zwei und drei Robotern
Parallel zum Einstieg in die Vermarktung mit Kundentests entwickeln die Kronen-Ingenieure das neue Anlagenkonzept noch weiter. Benjamin Keske: „Wir arbeiten aktuell an einer Anlage mit zwei Robotern, die doppelten Output bietet.“ Die beiden Roboter arbeiten parallel. Sie versorgen zwei Messer-/ Entsteinstationen, und der Bediener legt jeweils zwei Früchte ein. Ebenso in Arbeit ist eine weitere und größere Zelle mit drei hygienegerechten Stäubli Robotern, die arbeitsteilig unterwegs sind. Sie entsteinen und schälen bis zu 1.000 Avocados pro Stunde. Ein weiteres Projekt betrifft die Automatisierung der vor- und nachgelagerten Schritte unter Verwendung eines Bildverarbeitungssystems, an dem derzeit gearbeitet wird. Solche Features werden den Amortisationszeitraum abermals verkürzen.
Erweiterbare Lösung
Darüber hinaus, so Benjamin Keske, ist die Roboterzelle beliebig erweiterbar. Wenn die geschälten, halbierten Avocados im nächsten Schritt noch in Scheiben geschnitten werden sollen, kann das zum Beispiel mit der Bandschneidemaschine GS 10-2 aus dem Kronen-Programm geschehen. Perspektivisch ist auch die Verarbeitung anderer Früchte denkbar – zum Beispiel Kiwis oder kleinere Melonen.
Auch andere Arbeitsgänge sind möglich: „Wir werden dieses Konzept zu einer Plattform ausbauen, um Früchte und Gemüse robotergestützt zu verarbeiten. Das Potenzial ist da.“ Und Stäubli Roboter werden auch hier die präzise Handhabung unter Hygienebedingungen übernehmen.