Mittelständische Unternehmen: Ist ESG für uns überhaupt relevant?
„Das betrifft doch nur börsennotierte oder Großunternehmen.“
„ESG ist die neueste Sau, die von Regulierern und Weltverbesserern durchs Dorf getrieben wird und spielt im Alltag und in meinem Geschäft gar keine Rolle.“
Man begegnet solchen Aussagen häufig, auch im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen, wenn Unternehmer eine Nachfolgelösung oder strategische Partner suchen. Man kann über Ausprägungen und Sinnhaftigkeit mancher Themen kontrovers diskutieren, aber Fakt ist: ESG ist da, betrifft jeden und ist gekommen, um zu bleiben.
Und es gibt überzeugende Gründe, sich damit zu beschäftigen. Offensichtlich sind Gesetze und verbindliche Regelungen, z.B. das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Stichwort CSRD = Corporate Sustainability Reporting Directive) für größere und bald auch für kleinere Unternehmen. Aber die Megatrends Klimawandel und demographische Entwicklung sind die treibenden Kräfte hinter ESG. Wer sie ignoriert, handelt auf eigene Gefahr. Die Welt verändert sich rasant, und wenn Sie nicht handeln, könnte Ihr Geschäftsmodell in Gefahr geraten.
Die Steinbeis M&A Partners GmbH hat festgestellt, dass über 70% der Unternehmen unter ESG-Gesichtspunkten vergleichsweise unvorbereitet in eine M&A-Transaktion gehen. Häufig wird übersehen, dass die notwendigen Vorbereitungen schon lange vor dem eigentlichen Unternehmensverkauf getroffen werden müssen. Die Integration von ESG-Zielen und - Maßnahmen in die Unternehmensstrategie und das Tagesgeschäft reduziert Risiken und eröffnet Chancen, z.B. den richtigen Käufer zu finden oder den Unternehmenswert und Verkaufspreis zu erhöhen.
Was ist ESG?
ESG ist in den letzten Jahren tatsächlich in aller Munde. Doch was verbirgt sich hinter dem Kürzel? ESG steht für "Environmental, Social and Governance" und bezieht sich auf die drei zentralen Bereiche, in denen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistung bewerten und, was auch immer wichtiger wird, von Geschäftspartnern bewertet werden:
- Environmental (Umwelt) bezieht sich auf den ökologischen Fußabdruck eines Unternehmens. Hierbei geht es um Themen wie den Umgang mit Ressourcen, Energieeffizienz, Emissionen und den Umgang mit Abfällen.
- Social (Soziales) bezieht sich auf die soziale Verantwortung eines Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern und der Gesellschaft. Dazu gehören Themen wie Arbeitsbedingungen, Vielfalt und Inklusion, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie soziale Projekte.
- Governance (Unternehmensführung) befasst sich mit der Art und Weise, wie ein Unternehmen geführt wird. Das betrifft die Integrität der Geschäftspraktiken, die Transparenz, die Qualität des Managements und die Einhaltung ethischer Standards.
Doch warum sollten sich mittelständische Unternehmen überhaupt für ESG interessieren? Schließlich könnte man meinen, dieses Thema sei nur für große Konzerne von Bedeutung und eher eine Modeerscheinung oder Ideologie. Die Vorstellung, dass ESG nur ein vorübergehender Trend ist, kann verlockend sein. Doch die Realität zeigt, dass ESG ein Thema ist, mit dem man sich beschäftigen muss, wenn man weiterhin erfolgreich sein möchte.
Die Gründe dafür sind vielfältig, aber insbesondere die Megatrends Klimawandel und demographische Entwicklung spielen eine entscheidende Rolle. Der Klimawandel erfordert eine nachhaltigere Wirtschaftsweise, um die Umweltauswirkungen zu minimieren. Gleichzeitig wird die Alterung der Bevölkerung bestehende Probleme wie den Fachkräfte- und Personalmangel verschärfen und neue soziale Herausforderungen schaffen, die von Unternehmen gelöst werden müssen.
Die weltweit in immer höherem Tempo von verschiedensten Organisationen (Vereinte Nationen, Europäische Union, Standardsetter wie GRI und ISSB) vorangetriebene Regulierung ist der Beschleuniger, ESG auf die Agenda zu setzen. Nur ein Beispiel: das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betrifft zwar zunächst nur größere Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten (ab 1.1.2024 >1.000 Beschäftigte). Diese verlangen aber von Ihren Lieferanten bis hin zum lokalen Bäcker, der die Kantine beliefern möchte, die Einhaltung bestimmter Standards.
Überragende Bedeutung für Unternehmen
Doch die eigentlichen Treiber für ESG sind die drängenden globalen Herausforderungen und die sich damit verändernden Erwartungen und Ansprüche von Kunden, Mitarbeitern, finanzierenden Banken und von Investoren, die ein Unternehmer als Käufer seines Unternehmens oder eine anderweitige Nachfolgelösung in Erwägung zieht. Unternehmen, die diese Veränderungen ignorieren und nicht proaktiv angehen, riskieren, den Anschluss zu verlieren, Werte zu vernichten und im schlimmsten Fall Ihre Geschäftsmodelle zu zerstören.
Konkret haben sich die Erwartungen und Ansprüche verschiedener Stakeholder bereits deutlich geändert und diese Entwicklung wird sich beschleunigt fortsetzen:
Kunden: Immer mehr Verbraucher legen Wert auf nachhaltige Produkte und Dienstleistungen. Geschäftskunden optimieren ihre Lieferketten entsprechend. Unternehmen, die ESGPrinzipien ignorieren, können Kunden verlieren oder vom Wettbewerb verdrängt werden.
Mitarbeiter: Der „war for talents“ bei der Rekrutierung von Mitarbeitern und der allgemeine Personal- und Fachkräftemangel sind allgegenwärtig. Nicht nur Fachkräfte achten vermehrt auf Arbeitgeber, die sich sozial und ökologisch engagieren. In der jungen Generation legen viele Berufseinsteiger hohen Wert darauf, sich mit den Aufgaben und Werten des Arbeitgebers zu identifizieren. Unternehmen, die Nachhaltigkeit und ESG vernachlässigen, werden Schwierigkeiten haben, talentierte Mitarbeiter anzuziehen und zu halten.
Banken: Finanzinstitute sind zunehmend darauf bedacht, nachhaltige Unternehmen zu unterstützen. Sie könnten entweder höhere Zinsen verlangen oder sogar die Finanzierung verweigern und eine Geschäftsbeziehung beenden, wenn ESG-Risiken nicht adäquat adressiert werden.
Investoren: Investoren sehen in ESG-Aspekten nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch finanzielle Risiken. Sie könnten ihre Unternehmensbewertung und Kaufpreisangebote reduzieren oder Unternehmen mit schlechter ESG-Performance und hohen Risiken vollständig meiden.
Bedrohungen und Risiken, aber auch Chancen
ESG birgt zweifellos Bedrohungen und Risiken für Unternehmen. Doch gleichzeitig eröffnen sich auch vielfältige Chancen. Unternehmen, die ESG in ihre Geschäftsstrategie integrieren und dies auch effektiv kommunizieren, können von verbesserter Reputation, erhöhten Absatzchancen, Kosteneinsparungen, gesteigerter Effizienz und erhöhter Attraktivität für Mitarbeiter profitieren.
Was sollte ein Mittelständler tun?
Die Herausforderung für mittelständische Unternehmen besteht darin, ESG in ihre Geschäftspraxis zu integrieren. Hier sind einige Schritte, die Sie in Betracht ziehen sollten:
- Selbsteinschätzung: Identifizieren Sie, welche ESG-Themen für Ihr Unternehmen besonders relevant sind. Jede Branche und jedes Unternehmen steht vor spezifischen ESGHerausforderungen.
- Externe Unterstützung: In vielen Fällen ist es sinnvoll, externe Experten hinzuzuziehen, um eine fundierte Außenperspektive zu liefern und bei der ESG-Strategieentwicklung und - umsetzung zu helfen.
- Risikoreduzierung und Chancennutzung: Entwickeln Sie Strategien, um ESG-Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen. Dies kann beispielsweise Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen oder zur Einführung angemessener Governance-Praktiken beinhalten.
- Maßnahmen ergreifen: Implementieren Sie konkrete Schritte, um Ihre ESG-Ziele zu erreichen. Dazu können Schulungen für Mitarbeiter, die Entwicklung eines ESG-Reportings oder ESG-Zertifizierungen gehören.
Insgesamt zeigt sich, dass ESG für mittelständische Unternehmer keineswegs nur ein Modethema oder eine Ideologie ist. Die wirtschaftlichen Auswirkungen und Konsequenzen sind real und können entscheidend für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens sein. Die Zeit, ESG zu ignorieren, ist vorbei - es ist an der Zeit, aktiv zu werden und die sich bietenden Chancen zu nutzen.