Globalisierung, Digitalisierung, Umwelt, Automatisierung und Sicherheit. Um diese fünf Trendthemen drehten sich die 40 Minuten langen Talks für Investitionsentscheider und Logistikinteressierte während der 38. Auflage des Deutschen Logistik-Kongresses (20. bis 22. Oktober) der Bundesvereinigung Logistik (BVL) e. V. im Hotel „InterContinental“. Für das neue Format verwandelte STILL das Sternerestaurant „Hugos“ im 14. Stock des Hotels in ein Aufnahmestudio mit der Berliner Skyline im Hintergrund. Wer nicht selbst am Logistik-Gipfeltreffen teilnahm, konnte die Talks unter der Moderation der Logistikjournalisten Anita Würmser und Thilo Jörgl live im Internet verfolgen.
„Wir haben sowohl im Aufnahmestudio als auch in den sozialen Medien ein sehr positives Echo erhalten. Die Zuschauer waren nicht nur davon begeistert, dass ausgewiesene Experten und Expertinnen aus Wirtschaft und Wissenschaft unverblümt die aktuelle Situation in der Logistik analysierten und ihre Thesen verteidigten. Auch die lockere Diskussion über zugespitzte Thesen am Tresen erwies sich als ein Format, das höchst interessant und kurzweilig ist“, betont Frank Müller, Senior Vice President Brand Management & Sales & Service Steering bei STILL EMEA.
Diskutiert wurden unter anderem die Thesen:
- Geht es auch ohne China? Wie die Corona-Krise die Wertschöpfungsketten verändert.
- Alles – außer Abgase: So sieht der Stapler der Zukunft aus.
- Das Lager ist tot. Es lebe das Lager! Wie Künstliche Intelligenz die Logistik verändert.
- Ein digitaler Saftladen bleibt ein Saftladen: Wie man vermeidet, falsch zu automatisieren.
- Überwiegend wolkig: Wie Cloud-Anwendungen Unfälle im Lager verhindern.
„Nach der erfolgreichen Premiere der meinungsstarken Talks auf Fernsehniveau haben wir beschlossen, das Format fortzuführen. Wo wir den Tresen wieder aufbauen und welche Thesen wir diskutieren wollen, werden wir 2022 bekannt geben“, so Müller.
Auf besonders große Resonanz stießen die Sessions zu den Themen Digitalisierung und Automatisierung. Kevin Kufs, CEO von Hermes Fulfilment, unterstrich die Bedeutung einer funktionierenden Hochleistungslogistik für den wirtschaftlichen Erfolg eines KEP-Dienstleisters. „Der Endkunde verzeiht keine gebrochenen Versprechungen“, betonte Kufs. Daher plane Hermes Fulfilment weitere Investitionen in digitale Tools, aber auch in mehreren automatisierten Logistikzentren hierzulande. Die zeitintensiven Vorbereitungen seien bereits im Gange.
„Ein großer Hemmschuh für innovative Sicherheitskonzepte, die auf biometrischen Daten beruhen, sind die Datenschutzgesetze“, so die Ansicht von Ansgar Bergmann, Technology & Innovation – CTR, Project Manager CTO bei der KION Group. Erik Wirsing, Vice President Global Innovation bei DB Schenker, warnte im Zusammenhang mit digitalen Projekten davor, dass Unternehmen die Schäden durch Hacker-Angriffe unterschätzen: „Ohne Datensicherheit gibt es heutzutage kein Geschäft mehr“, lautete seine These.
Eine Lanze für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bei Datenprojekten brach Jakub Piotrowski, CIO/CDO bei BLG LOGISTICS, denn „Digitalisierung wird teuer und der Algorithmus entscheidet über den Erfolg“. Er appellierte im Talk zum Thema Digitalisierung an die Unternehmen, bei simplen Softwareprojekten aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsam zu agieren. In diesem Zusammenhang verwies er auf das Thema Open Source, damit nicht jede Firma die gleichen aufwendigen Softwareprojekte vorantreibe, sondern auf bereits vorhandene und zugängliche Programmierungen zurückgegriffen werde. Deshalb sei auch BLG LOGISTICS dem Förderverein der Open Logistics Foundation beigetreten.
Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel, Geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML, verwies bei diesem Thema auf die Situation in den USA. Ein Großteil der 2020 jenseits des Atlantiks eingebrachten Unternehmenswerte seien immaterielle Werte gewesen, also Patente, Algorithmen usw. In diese Richtung müsse auch hierzulande gedacht werden. Die Chancen für europäische Unternehmen, im Bereich Material Handling künftig die Nase vorne zu haben, sind dem Wissenschaftler zufolge gut. „Die Europäer sind in der Intralogistik ganz vorne“, so der Forscher. Seiner Meinung nach sollten sich noch mehr Firmen die beiden Trendthemen Schwarmintelligenz und simulationsbasierte künstliche Intelligenz ganz oben auf die Agenda schreiben.
Allianzen schmieden und Partnerschaften eingehen – das ist nach Ansicht von Kontraktlogistikexperte Harald Seifert auch der richtige Ansatz für Logistikdienstleister und Verlader, um künftig erfolgreich zu sein. Der Vorsitzende des Beirats der Seifert Logistics Group war im Tresen-Talk zum Thema Globalisierung der Meinung, dass durch Lieferkettenstörungen wie Pandemien, Streiks oder Umweltkatastrophen geschäftskritische Artikel wieder vermehrt in Europa produziert und gelagert werden sollten – auch wenn das teurer sei. Ralf Düster, Vorstandsmitglied bei Setlog, stimmte ihm nur bedingt zu. Er prophezeite, dass bestimmte Branchen, etwa die Fashion-Industrie, weiterhin größtenteils in Asien Waren produzieren werden. „Nur so ist es möglich, dass Importeure und Händler ihre Waren weiterhin preisgünstig anbieten und wettbewerbsfähig bleiben können“, so Düster.
Christine Mezger-Behan, Vice President Logistics System bei KION ITS EMEA, hob in diesem Zusammenhang hervor, dass „Dual Sourcing“ für die Lieferketten zunehmend bedeutsamer werde. Strategisch wichtige Teile würden ihrer Ansicht nach künftig vermehrt in Europa eingekauft, der Rest in Ländern mit einem niedrigen Lohnniveau: „Jede Branche muss für sich entscheiden, was in Europa eingekauft wird und was nicht“, so Mezger-Behan.
Neben Digitalisierung spielt in der globalen Welt von morgen das Thema Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle – so lautete der Tenor der Session zu Umwelt und Klima. Einig waren sich alle Experten und Expertinnen, dass der Anteil an verkauften Elektrostaplern weltweit weiter zunehmen wird. Dennoch will Daniel Küster, Supply Chain Director der Warsteiner Group, Stapler mit Verbrennungsmotor noch nicht sofort aus seiner Flotte ausmustern. Für Hochleistungsanwendungen in der Getränkeindustrie im Tag- und Nachtbetrieb hält er seine hochentwickelten Verbrenner derzeit noch für leistungsfähiger als E-Stapler. Er geht jedoch, genauso wie Wissenschaftler Prof. Dr. Thorsten Schmidt von der TU Dresden, davon aus, dass in den kommenden Jahren deutlich leistungsfähigere Energiespeicher auf den Markt kommen. Diese müssen Küster zufolge auch bezahlbar bleiben. „Wir brauchen keine Show-Cases, sondern Use-Cases“, so Küsters Forderung am Tresen. Rolf Beckmann, Director Engineering bei der Fiege Logistik Stiftung, ergänzte, dass die aktuellen Entwicklungsergebnisse neuer Batterietypen mit Natrium-Ionen-Technologie vielversprechend seien.