Die Entfernung von 8000 Kilometern zwischen Ilmenau und Shenyang spielt bei der wissenschaftlichen Zusammenarbeit Dank elektronischer Medien wie Internet und E-Mail kaum noch eine Rolle. Zudem tauschen die beiden Universitäten ständig Wissenschaftler aus. So sind Chinesische Forscher regelmäßig zu Gast beim Graduiertenkolleg „Lorentzkraft“, einer Einrichtung der TU Ilmenau, in der mit Fördergeldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft hochspezialisierte Wissenschaftler ausgebildet werden. Prof. Ben-Wen Li, der derzeit zusammen mit seinem Kollegen Prof. En-Gang Wang an der TU Ilmenau ist, war bereits zuvor, von 2001 bis 2003 als Postdoktorand am Fachgebiet Thermo- und Magnetofluiddynamik. Das gemeinsame Forschungsziel: Die berührungslose Messung von Strömungsgeschwindigkeiten in heißen und aggressiven Metall- und Glasschmelzen und die Detektion von unzugänglich tief liegenden Materialdefekten in Festkörpern. Forschung in diesen Bereichen ist beispielsweise für die Prüfung von Turbinenschaufeln, Pipelines und Hängebrücken notwendig. Die 24 Doktoranden des Graduiertenkollegs waren unter anderem bei einer Summerschool in Shenyang im Jahr 2008 rekrutiert worden. Sie sind sowohl für eine universitäre Laufbahn als auch für Tätigkeiten in der Industrie hervorragend geeignet und haben meistens schon vor Abgabe ihrer Promotion Arbeitsverträge mit Unternehmen aus den Branchen Messtechnik, Metallurgie oder Automobilindustrie in der Tasche.
Bei dem Wissenschaftleraustausch nutzen die Forscher wechselseitig Labors und technische Geräte, so zum Beispiel Ilmenauer Wissenschaftler für Experimente mit flüssigem Stahl in Shenyang. Erst Mitte Oktober vergangenen Jahres reisten 19 Wissenschaftler der TU Ilmenau zum „Ilmenau – Shenyang Young Scientists Workshop on Electromagnetic Processing of Materials“ nach China. Es war dies die Abschlussveranstaltung zum Ende der ersten Doktorandengeneration des Graduiertenkollegs „Lorentzkraft“.
Die Forschung der Ilmenauer und der chinesischen Wissenschaftler wird allen Industriezweigen zur Herstellung metallischer Werkstoffe eine große Bandbreite an Anwendungsfeldern eröffnen, beispielsweise für die Herstellung von Autokarosserien, Flugzeugrümpfen oder auch von Golfschlägern. Bei ihren experimentellen und theoretischen Grundlagenuntersuchungen wenden die Ilmenauer Forscher Methoden an, die sie selbst entwickelt haben, etwa die Lorentzkraft-Anemometrie, ein berührungsloses Messverfahren, mit dem der Volumen- und Massestrom heißer Metallschmelzen exakt bestimmt werden kann. Die TU Ilmenau hat das Verfahren, das zuvor von einigen Experten auf seine Machbarkeit hin angezweifelt worden war, unterdessen zu zwei Patenten angemeldet. Ein visionäres Ziel des Graduiertenkollegs besteht in der berührungslosen Messung des Volumenstroms einer Glasschmelze in einem Rohr. Eine genaue Kenntnis dieser Größe würde die Formgebung von Glas erheblich verbessern. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe liegt darin, dass die elektrische Leitfähigkeit von Glasschmelzen sehr gering ist. Um das Problem zu lösen, sind ultrapräzise Kraftmessungen notwendig und es müssen sehr starke Magnetfelder erzeugt werden.