Es gibt Unternehmer/innen und Unternehmer/innen - solche und solche. Jürgen Pfitzer zählt jedenfalls eindeutig zu denen, die eine Mission treibt - nämlich die, der Welt den Weg weg von fossilen Rohstoffen zu weisen: "Verbrauchen verboten! Kinder haften für Ihre Eltern!" steht in großen Lettern auf einem Schild. Denn unsere Kinder und Enkel sind es schließlich, die es jetzt und in Zukunft ausbaden müssen, wenn Politik und Wirtschaft weiterhin zu lange am Verbrauch fossiler Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Kohle festhalten. Denn diese sind für den CO2-Anstieg in der Erdatmosphäre und damit mittelbar für die Klimaerhitzung verantwortlich. Und ohne Plastik wären Natur und Weltmeere zudem ein ganzes Stück sauberer.
Einst war der Holzstoff "Lignin" mehr oder weniger Abfall, der beispielsweise bei der Papierproduktion in großen Mengen anfiel und heute noch anfällt. Nicht selten wird er deshalb schlicht verheizt.
Pfitzer und Nägele glaubten daran, aus diesem Rohstoff Höherwertiges zaubern zu können. Sie machten sich an die Arbeit und tüftelten. Sie staunten nicht schlecht, als sie bei der ersten Patentanmeldung merkten, dass dieses Feld noch ziemlich "unbeackert" war und meldeten ihre Erfindungen gleich im Dutzend zum Urheberschutz an. Heute, so merkt Jürgen Pfitzer stolz an, verfüge man über 5.300 selbst entwickelte Biowerkstoff-Rezepturen, die an die jeweiligen Wünsche und Erfordernisse des gewünschten Produkts individuell angepasst werden können.
Dabei scheint er dem Publikum eine wunderschön gemaßerte Bowlingkugel zu präsentieren: "Dies ist ein Lautsprecher bester Qualität, denn mit dem naturfaserverstärkten Verbundstoff "Arbofill" lassen sich nicht nur formschöne, sondern auch klangoptimierte Lautsprecher herstellen."
Die Liste der vorgestellten Produkte ist sehr lang und facettenreich: Vom Werkzeugkoffer über die Getränketasse bis hin zu Kaffeekapseln ist die Bandbreite der Möglichkeiten schier unerschöpflich. "Milliarden von Kaffeekapseln - bislang rohstoff- und energieintensiv hergestellt, könnten sofort durch das kompostierbare Pendant von Tecnaro ersetzt werden. "
"Strohhalme sind auch so eine Kleinigkeit", so Pfitzer, die einen Unterschied machen, denn in Summe führen auch sie zu riesigen Müllbergen . Selbst bei als nachhaltig beworbenen neueren Produkten wurde erst kürzlich die "Ewigkeitschemikalie PFAS" in der Beschichtung nachgewiesen. "Unsere Tecnaro-Strohhalme sind vielleicht ein bisschen teurer; berücksichtigt man aber die Folgekosten durch die Müllberge und Plastikinseln in den Weltmeeren, dann ist dieses Produkt konkurrenzlos, denn sie verrotten unter normalen Boden- wie unter Salzwasserbedingungen."
2019 entstand in Kooperation mit der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und weiteren Partnern ein neues Langzeitprojekt: Die Entwicklung von vollständig abbaubaren Wuchshüllen, wie sie im Wald zur Begründung von Laubholzbeständen verwendet werden. Die junge Pflanze wächst dabei praktisch unbehelligt durch Konkurrenzpflanzen in einer Kunststoffröhre dem Licht entgegen, in der zudem ein wachstumsförderliches Mikroklima herrscht.
Ein großes Problem ist, dass diese Wuchshüllen, nachdem sie ihren Dienst über Jahre erfüllt haben und eigentlich wieder abgebaut werden sollen, einen großen zusätzlichen Aufwand für den Waldbesitzenden bedeuten. Verbleiben Sie im Wald, werden Sie über vielen Jahre durch die UV-Strahlung zu Mikroplastikteilchen zersetzt - Schadstoffe, die niemand weder im Wald, noch im Waldboden oder gar im Grundwasser haben möchte. Deshalb wurde bei Testreihen im Labor und im Wald größten Wert darauf gelegt, dass diese völlig neuartigen Wuchshüllen vollständig abbaubar sind. Daneben sollten Sie sehr leicht sein und rasch aufzubauen. Selbst der Lichtdurchlässigkeit wurde Aufmerksamkeit geschenkt, denn je mehr Licht die Pflanze bekommt, umso besser kann die Photosynthese und damit das Wachstum der neuen Baumgeneration ablaufen. Und da selbst die zur Fixierung am Haltestab benutzten Kabelbinder wurden abbaubar konzipiert.
Bei dieser Fülle an bereits entwickelten Produkten und ganz neuen Produkten, die in den Köpfen der Betriebsbesucherinnen und Besuchern als Ideen und Visionen unweigerlich Gestalt annehmen, hätte man leicht vergessen können, was besonders interessiert: Die Werksbesichtigung!
Der Rundgang beginnt im Prüflabor. Hier können Werkstoffe unmittelbar aus dem Produktionsprozess an normierten Teststücken auf ihre technischen Eigenschaften überprüft werden, etwa auf ihre Schlag- und Biegefestigkeit und vieles mehr.
In der Produktionshalle erklärt Jürgen Pfitzer den für Laien etwas kompliziert anmutenden Vorgang vom Rohstoff zum Endprodukt unter wechselnden Temperatur und Druckbedingungen. Aber wenn's so einfach wäre, könnte es ja jede/r.
Am Ende des Vorgangs jedenfalls stehen verschieden geformte Granulate mit den vom Kunden für sein Produkt spezifischen Materialeigenschaften - Ausgangsstoff für die unzähligen Anwendungsbereiche, über die die Mitglieder und Gäste des SDW Rems-Murr an diesem kurzweiligen Freitagnachmittag bereits informiert wurden.