Lignin fällt in der Papierproduktion als Abfall an. Es wird in der Größenordnung von 20 Milliarden Tonnen jährlich weltweilt neu gebildet, sagt Jürgen Pfitzer, Tecnaro-Geschäftsführer neben Diplom- Ingenieur Helmut Nägele. Welch eine Vision entstünde, ließe sich künftig solch ein Öko-Gau vermeiden, wie die rund 600 000 Tonnen Plastikmüll, die in den Ozeanen der Weltmeere zahllose Tiere das Leben kosten und letztlich in unserer Nahrungskette enden. Pfitzer: "Jeder Kunststoff hat seine Daseinsberechtigung." Mag sein, sicher ist aber nicht jeder zu 100 Prozent biologisch abbaubar wie die meisten der Produkte aus der Firma Tecnaro. Ihre Vorteile: "Unsere Produkte sind erdölfrei und Lignin steht im Anbau nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln", so der findige Unternehmer.
Die Fertigungstechnik klingt nicht einmal so kompliziert, wie die Entwicklung wohl war. Im Juli 1998 als Spin-Off aus dem Fraunhofer-Institut Chemische Technologie (ICT) Pfinztal ausgegründet, hat sich die Tecnaro GmbH seitdem damit befasst, nachwachsende Rohstoffe in der Kunststoff-Technik einzusetzen. Diese Vision haben die beiden schwäbischen Tüftler Nägele und Pfitzer hartnäckig und zielstrebig verfolgt, bis 2010 der Durchbruch kam: Mit einem Damen-Eco-Pumps für Gucci.
Für diesen - gestylt von Sergio Rossi - schufen Nägele und Pfitzer nicht nur den Absatz aus Flüssigholz, sondern ebenfalls das softe Innenleben und gar den Schuh- Rahmen, der für gewöhnlich für seine Stabilität auf einen Metallbügel angewiesen ist. Nicht so beim Pumps made by Tecnaro.
So wurde 2010 zu ihrem Aufstiegsjahr, dem Pump folgte ein weiterer Glanzpunkt: Die Tecnaro GmbH erhielt für ihr Flüssigholz den European Inventor's Award. "Den nahmen wir in Madrid im Beisein des Thronprinzenpaares entgegen." Eine weitere Auszeichnung folgte 2011 mit dem Biopolymerpreis für Übertöpfe und heute beliefern die Ilsfelder und ihr Team auch den weltgrößten Haushaltswarenhersteller, Tupperware. Boxen und Schüsseln samt Dichtungsringen: alles aus Flüssigholz.
Jürgen Pfitzer setzt seinen Bericht - immer noch strahlend - fort. Selbstredend werde er keine Firmen-Interna verraten, nur so viel: Lignin wird unter Druck und Hitze aus Holz gewonnen, aufgeschmolzen und hernach wieder - in langen dünnen, Spaghetti-ähnlichen Schnüren - abgekühlt. Hierbei härtet es aus und kann als Granulat in allen gängigen Spritzgussmaschinen Verwendung finden. Um genau zu sein, sind selbst bei hochmoderner Spritzgußtechnik nicht alle Teile aus Plastik machbar, wo etwa Genauigkeit im Hunderstel- Millimeter-Bereich gefragt ist und manches blieb deshalb lange der Metallproduktion vorbehalten, vieles musste aus Alu hergestellt werden. Mittels ihres thermoplastischen Compounds, der Lignin-Mischung, kann die Tecnaro GmbH auch solche schwierigen Teile im Toleranzbereich von 0,018 mm-Bereich fertigen.
Doch neben technisch möglichen Finessen - auch beim Stabilitätswunder Waben- und Leicht-Bau - überzeugt das Flüssigholz etwa auch im Akustik-Bereich: Wo Klang gefragt ist, geht es um Holzqua-lität. Nicht nur drumsticks, die im Paar verkauft werden, weil wegen des natürlich unebenen Holzwachstums keiner wie der andere von Fell oder Rahmen springt, sondern auch bei Mundstücken für Klarinetten oder Blockflöten spielt Tecnaro inzwischen ein bedeutende Rolle.
Während bei ersten das paarweise Sortieren entfällt aufgrund der gleichmäßig aus Flüssigholz gegossenen Trommelstöcke, ist es bei letzteren das Aufquellen nach langem Flötenspiel, das nun der Vergangenheit angehört. Design wie Klangqualität zugleich und das im high-end-Bereich fertigt Tecnaro bei Lautsprechern für auroona. Kugelrunde Boxen schmeicheln Ohr und Auge.
Ob Widerstandsfähigkeit, Zugfestigkeiten oder Schlagzähigkeiten, Elastizität oder Farbechtheit - alles sei mit den lignin- basierenden Werkstoffen machbar, nickt Jürgen Pfitzer auf Frage. Lenkräder, die edlen Genossen aus Wurzelholz zum Verwechseln ähnlich sehen, zum Beispiel auch. Und die Herstellung sei derjenigen von anderen Kunststoffen preislich längst vergleichbar. Und so vertreiben die Ilsfelder Unternehmer ihre Produkte inzwischen weltweit. Sie fertigen Baby-Wannen für Walz,Schleich-Tiere, die in jedem Kinderzimmer zuhause sind, massenweise Büroartikel wie Edding-Gehäuse oder Kugelschreiber, Kämme, aber auch Urnen.
Der Friedwald bei Heilbronn setzt ausschließlich Urnen aus Arboform ein. Der Umwelt zuliebe. Tecnaro-Kleiderbügel begannen ihren Siegeszug vom italienischen Modelabel Benetton aus und sind inzwischen in deutschen Geschäften zu finden, auch in Heilbronn, so Pfitzer.
Und wenn der Mittvierziger dann begeistert ausholt, um die Revolution dank Lignins beim Kühlsystems von Carbon-Bremsscheiben in Formel- 1-Fahrzeugen zu erläutern, dann weiß letztlich jeder: Diese Männer, Jürgen Pfitzer und sein Compagnon Helmut Nägele, haben nicht nur einen Riesentreffer gelandet. Sie haben mit Fleiß und Hartnäckigkeit, mit Mut und gegen Widerstände, mit Geduld und festem Glauben an ihr Ideal schon vor langer Zeit etwas auf den Weg gebracht, das nun - viel später - von der Vision zur Mission wurde.
Da lauscht man so gebannt, dass der Kaffee kalt wird.