„Bei einer Kreisverwaltung mit 1.200 Mitarbeitern, 16 Fachbereichen, 45 Schulen sowie zwei Eigenbetrieben stoßen papiergestützte Beschaffungsabläufe generell an ihre Grenzen“, berichtet Heike Neger, Mitarbeiterin im Stab Interkommunale Zusammenarbeit im Fachbereich Steuerung der Kreisverwaltung Groß-Gerau. „Selbst Budgets, verteilt über die ganze Verwaltung, halfen damals, vor 2014, recht wenig. Denn sobald jeder in Eigenverantwortung am Markt unterwegs war, fielen wertvolle Bündelungs- und Steuerungseffekte weg.“ Erste Untersuchungen in der Vorbereitung der Umstellung machten sehr früh deutlich: 15 Prozessschritte und Durchlaufzeiten von bis zu vier Wochen waren eindeutig zu hoch. „Nach unseren Recherchen fielen für eine einzelne Beschaffung Kosten in Höhe von 85 Euro an. Diese Kennzahlen stellte bei der Präsentation der Ergebnisse niemand mehr in Frage“, erinnert sich Neger. Hinzu kam, dass es keine transparente Übersicht der Aufträge – einschließlich Kaufpreis, bearbeitender Mitarbeiter und Käufer – gab. Daher lagen bis 2014 auch keine belastbaren Leistungsbeschreibungen vor, die als Grundlage für öffentliche Ausschreibungen und Vergaben hätten dienen können. Vielmehr galt es, Daten aufwändig entlang von Rechnungen und Befragungen zu erheben.
Mehr Effizienz, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im Einkauf
So kam es, dass sich die Kreisverwaltung Groß-Gerau 2014 entschied, die vormals papiergestützten Beschaffungsabläufe durch eine digitalisierte Einkaufsstrategie zu ersetzen. Ziel sollte es sein, durch mehr Transparenz und gezieltere Steuerungsmöglichkeiten Wirtschaftlichkeitsvorteile sowie eine effiziente Möglichkeit zur elektronischen Ausschreibung und Vergabe zu schaffen. „Wir suchten eine Lösung für gleichartige Bedarfe für alle Organisationseinheiten der Kreisverwaltung, sowie der zugehörigen Außenstellen und Eigenbetriebe beziehungsweise Beteiligungen“, erklärt Neger. „Des Weiteren sollte es sich dabei, jenseits aller Marktplätze, um ein geschlossenes lieferantenunabhängiges System handeln, um periodisch ausgeschriebene Rahmenverträge benutzerfreundlich über eine selbsterklärende Oberfläche zu steuern.“ Mit der TEK-SERVICE AG aus Lörrach fand die Kreisverwaltung schließlich den passenden Partner. Innerhalb einer kurzen Projektzeit von acht Wochen konnte die neue digitale Lösung in Groß-Gerau bereits mit 100 Bestellern starten.
Der Zeitaufwand im Einkauf reduzierte sich bereits in der Anfangszeit auf lediglich fünf Stunden in der Woche. „Durch den digitalisierten Einkauf gewonnene Daten konnten von uns zu elektronischen Leistungsverzeichnissen aufbereitet werden, die ein wichtiger Bestandteil der regelmäßigen Ausschreibungen sind“, berichtet Monika Schmidt, Vorsitzende des Aufsichtsrates der TEK-SERVICE AG. Jetzt lassen sich diese viel wirtschaftlicher und transparenter durchführen. „Davon profitieren auch die Lieferanten, da eine faire und transparente Preisgestaltung möglich ist“, bestätigt Neger. In den ersten Wochen und Monaten konnten zudem alte Papierlager im Keller aufgehoben werden. Die benötigten Aufwendungen für den gesamten Einkauf sanken innerhalb des ersten Jahres nach Umstellung in kürzester Zeit signifikant um 40.000 Euro.
„Bereits nach einem Jahr konnte aufgrund belastbarer, umfassenderer Leistungsbeschreibungen Bürobedarf ausgeschrieben werden – mit einem Preisvorteil von 10 Prozent“, berichtet Neger. Es folgten Papier und Tinte sowie Toner. Schritt für Schritt ließen sich weitere Verwaltungsbereiche wie Jobcenter, Gebäudemanagement und Schulen für die neue Einkaufsstrategie gewinnen. Sortimente wie Postzustellungsurkunden oder Hygiene kamen ebenfalls hinzu. „Heute steuern wir verwaltungsweit einen Jahresumsatz von € 0,5 Mio. über den elektronischen Einkauf. Hinzu kommt das derzeitige Jahresbeschaffungsvolumen von € 140 Tsd. unserer kommunalen Einkaufsgemeinschaft, die sich aus kreiszugehörigen Städten und Gemeinden zusammensetzt“, so fasst Heike Neger das Ergebnis aus heutiger Sicht zusammen.
Grüner Einkauf in kommunaler Gemeinschaft
„Neben der verbesserten Transparenz sollte auch der Nachhaltigkeitsaspekt insbesondere bei der Produktauswahl eine größere Rolle spielen, sodass wir dies entsprechend in der Webapplikation umgesetzt haben“, berichtet Schmidt. So sind derzeit im Einkauf 11.260 Artikel bekannt, die regelmäßig ausgeschrieben und damit auch im Sinne von Nachhaltigkeitsaspekten qualifiziert werden können. Entsprechende Kennzeichnungen im Einkaufsportal machen es dem Besteller leicht, unter aktuell 2.800 gelabelten Artikeln die „grüne“ Kaufentscheidung zu treffen. Bereits bei den Artikelanfragen können entsprechende Anforderungen an Lieferanten mitgegeben werden. Darüber hinaus lässt sich auf diese Weise auch stärker das regionale Handwerk oder der Einzelhandel integrieren: Beispielweise können Bäcker handwerklich gefertigtes Brot an Kitas und Schulen liefern oder Getränkehändler die Verwaltungskantinen mit Säften von nahegelegenen Streuobstwiesen versorgen. „Dies ist eine der vielen Weiterentwicklungen des Dienstleisters TEK-SERVICE AG, die auch aus Anregungen der Kreisverwaltung entstanden sind. Die Ergebnisse sind überzeugend“, bestätigt Neger.
Entsprechend lag der Gedanke nahe, kreiszugehörige Kommunalverwaltungen für eine gemeinsame Einkaufsstrategie basierend auf den positiven Erfahrungen der Kreisverwaltung zu gewinnen. Nach einigen Verhandlungen und finalen Projektwochen der Umsetzung war es 2018 dann soweit: Die Einkaufsgemeinschaft Groß-Gerau wurde geschaffen und wächst seither stetig. Kommunalverwaltungen wie Büttelborn, Biebesheim a. Rhein, Raunheim, Riedstadt, Mörfelden-Walldorf, Trebur, Ginsheim-Gustavsburg, Nauheim und Kelsterbach sind Teil der Gemeinschaft und sorgen für steigenden Umsatz, der bereits bei etwa 140.000 Euro liegt. Die Ausschreibungsergebnisse zeigen, dass sich eine Vergabe lohnt. Belastbare, gebündelte Leistungsbeschreibungen zeitigen gute Angebote der Bieter. Die Preisvorteile liegen dabei in der Regel bei 15 bis 20 Prozent. „Die Ergebnisse kommen damit uns allen zu 100 Prozent zu Gute. Lieferanten haben keine Kosten zu tragen, was die Vielzahl von Angeboten zeigt. Die Aufwendungen für unseren Dienstleister tragen wir; das rechnet sich für uns in vielerlei Hinsicht. Denn in jedem Fall übertreffen die erzielten Mehrwerte die Ausgaben bei weitem“, resümiert Neger. Heute werden circa 300 Lieferadressen mit den Sortimenten von sechs Lieferanten versorgt. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 460.000 Euro.
Der Landkreis Groß-Gerau liegt im südhessischen Regierungsbezirk Darmstadt und umfasst 14 Städte und Gemeinden mit einer Bevölkerung von rund 275.000 Einwohnern. Als moderner Wirtschafts-, Arbeits-, und Lebensraum liegt der Landkreis inmitten der Technologieregion Rhein-Main-Neckar. Seit 2018 ist ein Großteil der Städte und Gemeinden in einer kommunalen Einkaufsgemeinschaft verbunden, um Ausschreibungen transparenter, wirtschaftlicher und effizienter gestalten zu können. Die Organisation trägt die Kreisverwaltung Groß-Gerau.