„Die großen Herausforderungen, die vor uns allen liegen, machen in mehrfacher Hinsicht strategisches Umdenken notwendig.“ Insgesamt sieht Erwin Taglieber, der sowohl dem DHV als auch dem Deutschen Holzwirtschaftsrat (DHWR) als Präsident vorsteht, den Holzbau in Deutschland auf einem nachhaltigkeitsorientierten und deshalb zukunftsträchtigen Weg. Allerdings ist vom Verband jetzt mehr denn je eine 360-Grad-Rundumsicht gefordert, um für die 250 überwiegend mittelständischen Mitgliedsbetriebe die Weichen richtig zu stellen.
Herausforderungen gemeinsam meistern
Die bundesweit kontrovers geführte Debatte über Einfamilienhäuser hat gezeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung des Baugeschehens ist. Das gilt mit Blick auf das Häuschen im Grünen ebenso wie für den sozialen Wohnungsbau. „Man kann nicht 400.000 Wohneinheiten jährlich neu errichten wollen, ohne dafür das erforderliche Bauland auszuweisen. Der Bundestag hat schon vor Jahren beschlossen, die Flächenversiegelung zu beschränken. Gleichzeitig erwartet die Bundesregierung heute von der Bauwirtschaft einen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz. In der Konsequenz bedeutet das, dass man an mehrgeschossigem Bauen mit Holz in den Gebäudeklassen III, IV und auch V nicht mehr vorbeikommt, wenn genügend Wohnraum im Einklang mit der Natur entstehen soll.“, folgerte DHV-Präsident Taglieber.
Auf der Agenda des DHV stehen vorrangig technische und baurechtliche Aspekte des seriellen Bauens sowie die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden, wozu nach den Worten von Erwin Taglieber ausdrücklich auch die Verbesserung und Verstetigung der staatlichen Förderung zählen.
Bauen mit Holz muss erleichtert werden
DHV-Vizepräsident Ulf Cordes warf in Frankfurt einen durchaus kritischen Blick auf den herrschenden politischen Kontext. Insbesondere kritisierte er die überbordende Bürokratie, die Investoren abschreckt und wünschenswerte Großprojekte verhindert: „Baugenehmigungsverfahren, die sich teils über Jahre hinziehen, sind in Zeiten akuten Wohnraummangels unverantwortlich. Bauanträge für Gebäude aus Holz insbesondere in den höheren Gebäudeklassen müssen deutlich schneller geprüft und genehmigt werden als bisher, wenn der Klimaschutz in Deutschland eine Chance haben soll!“ Bauämter sollten daher mit genügend qualifiziertem Personal ausgestattet werden, um komplexe Anträge zeitnah bewältigen zu können, so die Quintessenz.
Das Klima wandelt sich
Der globale Klimawandel und seine Auswirkungen auf Deutschland und Europa, die drastische Teuerung von Energie, weltweit fragile Lieferketten, plötzliche Baustoffknappheit, Preissprünge an den Immobilienmärkten und anhaltender Fachkräftemangel im Bauhandwerk erfordern häufiger als sonst kybernetische Positionsbestimmungen jedes Unternehmens – und wo nötig auch Kurskorrekturen: „Einfach weiter zu machen wie bisher, wäre aus unternehmerischer Sicht mit Sicherheit zu kurz gesprungen.“, kommentierte Hauptgeschäftsführer Konstantin zu Dohna die aktuelle Wirtschaftslage. Keine Frage, dass die Zeiten rauer werden; angesichts der großen Chancen, die die forcierte Nutzung des Naturwerkstoffs Holz für den Klimaschutz und das Erreichen der ambitionierten jährlichen Neubauquote bietet, komme es jetzt darauf an, für die Vorzüge des seriellen Bauens mit vorgefertigten Elementen aus Holz deutlich wahrnehmbar einzustehen. „Insbesondere im Holzmodulbau ist das Feld noch lange nicht bestellt; im Büro-, Hotel- und Gewerbebau, im mehrgeschossigen Wohn- wie auch im temporären Sonderbau eröffnen sich neue Perspektiven“, wies zu Dohna auf potenzielle Wachstumsmärkte hin. Die Bauwirtschaft wird im kommenden Jahr nach der Abarbeitung des Auftragsbestands ihre Kapazitäten nicht voll auslasten können. Derzeit gehen die Projektanfragen stark zurück, eine tiefe Delle scheint nach aktuellem Stand unausweichlich. Das betrifft sowohl den mineralischen Bau als auch den Holzbau. Allem Anschein nach wird es im Holzbau aber weniger starke Rückgänge geben als im konventionellen Bau.
Werkstoff des 21. Jahrhunderts
Die Fachwelt ist sich einig: Kein anderer Baustoff kann einen nachhaltigeren Beitrag zur Verringerung des CO2-Gehalts der Atmosphäre leisten als Holz. „Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um bundesweit einen Holzbauanteil von 30 % bis 2030 und 50 % bis 2050 zu erreichen. Die Verfügbarkeit von Rohholz in bedarfsgerechter Qualität und Menge ist dafür unabdingbar. Deshalb unterstützen wir die auf die Zukunft ausgerichtete Waldbewirtschaftung in Deutschland stark.“, kündigte DHV-Vorstandsmitglied Ahmed Al Samarraie an, der zum hauptamtlichen Leiter des DHV-Hauptstadtbüros berufen wurde.
14-Geschosser „Carl“
Wie exzellent sich mit vorgefertigten Elementen aus Holz bauen lässt, verdeutlichte Architekt Peter W. Schmidt, Gründer und Chef des Büros Schmidt Architekten, Pforzheim und Berlin: Es geht dabei um „Carl“, ein 14-geschossiges Hochhaus in der „Goldstadt“ Pforzheim, das dort alle anderen Gebäude überragt. Abgesehen vom Aufzugsschacht und den Geschossdecken, besteht das staunenswerte Leuchtturmprojekt hauptsächlich aus vorgefertigten Holzelementen; ihre Montage erledigt Züblin Timber. „Das Holz, das im Carl verbaut ist, wächst im heimischen Wald innerhalb von nur fünf Minuten nach.“, hob Architekt Peter Schmidt die Nachhaltigkeit der Bauweise hervor.
Was den Brandschutz angeht, konnte er sich auf die Expertise von Prof. Dr. Dirk Kruse stützen. Der Gründer und Geschäftsführer des renommierten Büros Dehne & Kruse Brandschutzingenieure aus Gifhorn hat das Brandschutzkonzept für das Hochhaus Carl entwickelt. Auf der DHV-Tagung in Frankfurt schloss sich Kruse der Einschätzung von Technik-Geschäftsführer Wolfgang Schäfer an, wonach die Gebäudeklasse V „die größte Herausforderung für Holzbauplaner“ ist. „Fakt ist, dass bei Holzgebäuden brandschutztechnische Risiken in der Regel aus der Nutzung entstehen, weniger aus der Bauweise.“, betonte Kruse. Er plädierte deshalb dafür, Baustoffe dort einzusetzen, wo sie ihre größten Stärken haben. Sein Rat für Gebäude der Klasse V: „Der Brandschutz muss von Grund auf professionell geplant werden, damit Leuchtturmprojekte keine brennenden Fackeln werden.“, schloss Kruse seinen Vortrag, dem weitere spannende Fachbeiträge folgten:
Kinder zu Gestaltern machen
Über den rasanten Entstehungsprozess der neuen Kita Schnelldorf referierte Zimmermeister Jörg Hiller, Betriebsleiter beim DHV-Mitgliedsunternehmen Holzbau Bauer aus Satteldorf. Zweierlei ist an diesem Holzbauprojekt spektakulär: Von der Ausschreibung durch die Gemeinde im April 2021 bis zur Vergabe des Bauauftrags im Juni vergingen gerade einmal zwei Monate. Die Entschlusskraft der Auftraggeber wurde wesentlich durch den Ausbruch von Corona im Hohenlohe-Kreis beflügelt. Man wollte den Kita-Neubau möglichst rasch erstellen, um die Kleinsten trotz Pandemie gut und sicher betreuen zu können. Holzbau Bauer ebnete dafür den Weg durch zeitsparende Vorfertigung der Elemente im nur 10 km entfernten Satteldorf. Bemerkenswert ist zudem das „Mach-mit-Farbkonzept“, das schlichte, helle Wandflächen vorsieht, die von den Kindern selbst mit bunten Farben kreativ gestaltet werden können.
Digitalisierung im Betrieb
Michael Bliesner von 81fünf-Mitglied Lückel & Partner informierte über den neuen Leitfaden für die Einführung von ERP-Systemen in Holzbauunternehmen, die die Dateninfrastruktur mittelständischer Betriebe auf eine geordnete Basis stellt. ERP steht für Enterprise Resource Planning und bedeutet ‘ganzheitliche Abbildung aller betrieblichen Prozesse und Ressourcen‘. Die DHV-Geschäftsstelle unterstützt interessierte Mitgliedsunternehmen mit dem Leitfaden zur Entscheidungsfindung.
Psychoakustik klärt, was stört
Die bekannte Schallschutznorm DIN 4109 wird 2023 komplett erneuert. Grund genug für Schallschutz-Ingenieur Adrian Blödt, der sehr speziellen Materie einige Geheimnisse zu entlocken: Im Zentrum der Psychoakustik steht die Identifikation von Schallquellen samt Ermittlung ihres Störpotenzials - Aufzugsysteme und andere Bestandteile der TGA zum Beispiel. „Es geht darum, das subjektiv empfundene Störpotenzial messbar zu machen und bauphysikalisch objektiv darzustellen.“ Dann lässt sich beurteilen, ob und wie der jeweiligen Schallquelle bautechnisch am besten beizukommen ist. Schließlich kann Lärm auf Dauer krank machen, weshalb Adrian Blödts anschaulicher Vortrag auch als intelligenter Beitrag zur Optimierung der Bauqualität und des baulichen Gesundheitsschutzes zu verstehen ist.
Immobilien werden mobil
Der Herstellung von Gebäuden aus vorgefertigten Raummodulen widmete sich Holger Fröhlich, Prokurist des DHV-Mitgliedsunternehmens Baumgarten Holzbau. Willkommener Anlass ist der Neubau einer 100 m langen Produktionshalle auf dem Firmengelände in Ebersburg. Dort wird das Holzbauunternehmen künftig Module für Schulen, Kitas und KiGas, Hotels und Wohngebäude in Serie produzieren. Auch mit der Planung und Errichtung von Kasernen in standardisierter Holzmodulbauweise kennt sich Baumgarten aus, seit es als Teil der ARGE BBS Baumgarten/Brüggemann/Stark einen veritablen Bundeswehr-Standort in Nordhessen mit 13.000 m² bebauter Fläche auf Vordermann gebracht hat. “Wenn Immobilien auch Mobilien sein sollen, macht’s der Holzmodulbau möglich.“, resümierte Fröhlich. Dem entspricht das Konzept eines modularen Cafés, das von Standort zu Standort umziehen und so die maximale Kundenfrequenz zu bestimmten Zeiten an verschiedenen Orten in höhere Warenumsätze ummünzen kann. Die Motivation, sich mit dem Holzmodulbau zu befassen, entspringt dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung: Darin wird serielles Bauen ebenso wie die Modulbauweise ausdrücklich gefordert. Für die Teams von Baumgarten stand damit fest: „Wir machen das!“ Und sogar noch mehr: Baumgarten leistet nicht allein die bauliche Ausführung, sondern übernimmt auch die Fachplanung für Modulbauten aus Holz.
Vom Wirtschaftskreislauf zur Kreislaufwirtschaft
Erste Schritte zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft im Holzfertigbau präsentierte Architekt Dipl.-Ing. Holger König von der Jama GbR aus Gröbenzell. Die Gesellschaft für ökologische Projekte befasst sich u.a. mit den Voraussetzungen für eine Mehrfachnutzung von Bauprodukten und -systemen sowie den Einsatzbedingungen für recycelte Komponenten in ihrem jeweils neuen Funktionsbereich. Ziel ist dabei, klimaschädliche Emissionen zu vermeiden oder zumindest erheblich zu verringern, indem Gebrauchtes am Bau Neues ersetzt.
Weitere wissenswerte Informationen über den Holzfertigbau auf https://d-h-v.de
Text und Fotos: Achim Dathe, Stuttgart