Um ins Material zu sehen, macht sich die Thermosensorik ein einfaches physikalisches Prinzip zu Nutze. Alle Festkörper, Flüssigkeiten und Gase senden Wärmestrahlung aus. Diese, auch Infrarotlicht genannt, ist für das menschliche Auge ebenso unsichtbar wie für herkömmliche Fotokameras. Wärmebildkameras von Thermosensorik unterscheiden sich vom Fotoapparat zunächst durch eine sündteure Optik aus Germanium, Zink-Selenid-Verbindungen oder gleich lupenreinen künstlichen Saphiren. Hinzu kommt ein Detektor, der ähnlich wie der lichtempfindliche Chip an der Rückwand einer Digitalkamera arbeitet – nur mit 14 Bit statt acht, was eine 64-fach gesteigerte Empfindlichkeit bedeutet. Zuletzt sorgt eine Software dafür, dass sich Bildpunkte zu Bildern zusammensetzen.
„Mit Wärmekameras kann man Wärme visualisieren“, erklärt Thomas Hierl. „Aber man kann nicht ins Material hineinsehen.“ Dafür hat der Physiker einen technischen Kunstgriff auf Lager: Vereinfacht gesagt, wird das zu untersuchende Material auf einer Seite erwärmt. Für manche Proben genügt dazu ein Lichtblitz einer Fotokamera oder die Warmluft eines Haartrockners. Die Wärme durchwandert die Probe und sollte bei einem gleich dicken, homogenen Material auf der kühleren Seite überall gleich schnell ankommen. Befindet sich aber ein Einschluss im Material, wirkt sich das auf den Wärmetransport aus. „Sobald es an einem Fleck 0,3 Millisekunden länger dauert, bis die Wärmestrahlung auf der anderen Seite ankommt, können wir das mit unserer Wärmebildkamera aufzeichnen“, sagt Hierl.
Wer nun glaubt, dass derart hochsensible Geräte abgeschirmt im Labor stehen müssen, hat sich getäuscht. Infrarottechnik ist wie dafür geschaffen, Werkstoffe und Teile direkt im Produktionsprozess zu untersuchen. Thermosensorik hat bei praktisch allen deutschen Automobilherstellern Prüfanlagen installiert. Das Infrarot-Auge wirft im Sekundentakt seinen durchdringenden Blick auf die Schweißnähte an VW-Modellen oder überprüft, ob im Metall der Achsaufhängungen von Mercedes-Modellen Schlackereste (der Fachmann spricht von Lunkern) enthalten sind. Für die Kraftanlagensparte von Siemens entwickelte Thermosensorik eine Roboterstation zur automatisierten Prüfung von Turbinenschaufeln. „Bisher wurde dafür ein Wirbelstrom-Verfahren eingesetzt, das nur wenige Messpunkte pro Schaufel erfasst hat“, berichtet Hierl. „Unser System tastet in derselben Messzeit die komplette Oberfläche ab. Die Bilder und daraus ermittelte Prüfdaten fließen in einen Qualitätsreport ein, sodass Siemens Power Generation einen Beleg für jedes verbaute Teil hat.“ Seit zweieinhalb Jahren kommen nur die Schaufeln in die Siemens-Kraftwerksturbine, die vorher das Okay von der Thermosensorik-Prüfanlage erhalten haben. Ein anderer Auftrag kommt von Bosch. Dort überwachen Wärmebildkameras, ob die Düsen von Einspritzanlagen an der rechten Stelle sitzen. Gerade auf den Bosch-Auftrag sind die Thermosensoriker besonders stolz, denn das Infrarotverfahren konnte hier der wesentlich günstigeren Kameratechnik mit sichtbarem Licht den Rang ablaufen. „Bei dieser Aufgabenstellung müssen wir nicht ins Metall hineinschauen“, berichtet Hierl. „Normale Kameras werden aber von den leicht unterschiedlich polierten Metalloberflächen irritiert. Der Infrarotkamera ist es einerlei, ob sich da etwas mehr oder weniger spiegelt.“
Während die Infrarottechnik also blind ist für Lichtspiegelungen, reagiert sie durchaus sensibel auf die Wärmestrahlung, die von der Kamera selbst ausgeht. Damit der wärmeempfindliche Messchip nicht seine eigene Temperatur mitmisst, wird in das Gehäuse ein miniaturisiertes Kälteaggregat eingebaut. Die gesamte Kameraelektronik ist eine Eigenentwicklung von Thermosensorik, wie auch die Objektive, der Autofokus für Infrarotkameras und viele weitere grundlegende Komponenten. Trotz kompakter Abmessung wird das Innenleben der Kamera konstant auf ungefähr minus 200 Grad Celsius herabgekühlt. „Daher müssen unsere Instrumente bei der Inbetriebnahme nicht warm-, sondern einige Minuten lang kaltlaufen“, schmunzelt Hierl. „Aber dann kommen coole Einblicke zustande.“
Die Thermosensorik-Technologie steht jedoch nicht nur im industriellen Einsatz. Viele Universitätsinstitute, fast alle deutschen Großforschungseinrichtungen und einige im europäischen Ausland nutzen die Eigenschaften der hochauflösenden Thermosensorik-Infrarot-Kameras. Darunter sind so klingende Namen wie die Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft, das Hahn-Meitner-Institut, das Forschungszentrum Jülich, die ETH Zürich, das ISL Saint Louis in Frankreich oder die Universität Madrid. Jüngster weltweit beachteter Coup: Einer internationalen Forschergruppe des Max-Planck-Insituts in Halle/Saale gelang es, mit einem Thermosensorik-Infrarot-Kamerasystem Temperaturdifferenzen von 4 Millionstel Grad zu messen. So abgehoben dies klingt: Diese Forschungsergebnisse haben direkten Einfluss auf die Wirkungsgradoptimierung von Solarzellen. Hierl : „Auf Basis dieser Forschung kann Solarstrom billiger werden und in einer fernen Zukunft vielleicht sogar mit dem aus fossilen Energieträgern erzeugten Strom konkurrieren.“
Immer wieder erschüttern Nachrichten den Kunstmarkt, dass sich ein bekanntes Gemälde als Fälschung entpuppt. Die Stilsicherheit der Museumskuratoren ist eben nicht unfehlbar. Vereint sich aber kunsthistorisches Wissen mit dem Einsatz von Infrarottechnik, können viele Fälschungen leicht als solche identifiziert werden. Dies hat ein Projekt ergeben, das die Thermosensorik GmbH mit dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg realisiert hat. „Für Wärmebildkameras ist der Farbauftrag eines Gemäldes praktisch durchsichtig“, berichtet Thermosensorik-Chef Thomas Hierl. „Ohne ein wertvolles Gemälde anfassen zu müssen oder gar Proben zu nehmen, können wir bis auf die Leinwand schauen.“ Was auf der Infrarotkamera dann sichtbar wird, sind die Vorzeichnungen. Je nach Epoche haben die Künstler dazu Kohle- oder Rötelstifte verwendet. Beim Original ist der Strich der Vorzeichnung frei. Der Fälscher aber arbeitet nah an der Vorlage – mit Pauspapier oder fotografischen Verfahren. „Beim Falsifikat ist die Vorzeichnung daher entweder sehr akkurat oder sie fehlt ganz“, berichtet Hierl. Mit diesem Insiderwissen wird es für Betrüger trotzdem nicht leichter: Selbst wenn die Fälscher nun auch Vorzeichnungen fälschen, können sie nicht wissen, wie diese beim Künstler normalerweise aussehen.