"Auf Basis der durch das ESUG gestärkten Gläubigerautonomie wird zukünftig die Sanierung von Unternehmen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens an Bedeutung gewinnen", erläutert Jörg Schuppener, Geschäftsführer der TMC Turnaround Management Consult GmbH. "Schuldner und Gläubiger müssen hierfür den Prozess gemeinsamen rechtzeitig planen und gestalten und mit allen wesentlichen Beteiligten im Vorfeld abstimmen. Das Insolvenzverfahren könnte auf diesem Weg zukünftig zu einer strategischen Sanierungsoption aus Bankensicht werden."
"Wir gehen davon aus, dass Insolvenzverfahren viel umfassender vorbereitet werden müssen als bislang üblich", ergänzt Depping. "Wir haben verschiedene Spannungsfelder identifiziert. So müssen Insolvenzgerichte Sicherungsmaßnahmen anordnen, um ein Windhundrennen der Gläubiger auf Sicherheiten oder Forderungen zu verhindern. Wie viel Zeit bleibt also, einen Insolvenzantrag gründlich vorzubereiten, Gericht und Gläubiger in Entscheidungen einzubinden?"
Mindestens "gehobene Steuererklärung" statt "Bin pleite, Dein Peter"
Depping: "Bislang erleben wir immer wieder Insolvenzanträge von Betrieben und Unternehmen, die nicht viel mehr als 'Bin pleite, Dein Peter' aussagen. Dabei muss für Privatinsolvenzen heute schon so eine Art gehobene Steuerklärung vorgelegt werden."
Das ESUG stelle deutlich höhere Anforderungen an den Insolvenzantrag. Dem Insolvenzantrag muss künftig ein Verzeichnis der Gläubiger und deren Forderungen beigefügt werden. Die Forderungen müssen detailliert aufgegliedert sein, soll der Geschäftsbetrieb fortgeführt und saniert werden. Das zahlungsunfähige oder überschuldete Unternehmen muss darüber hinaus Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzerlösen und zur Anzahl der Beschäftigten machen.
Insolvenzrichter Dr. Klaus-Peter Busch, Amtsgericht Detmold, ergänzte: "Insolvenzverfahren sind immer auch Eilverfahren. Wie viel Zeit kann das Insolvenzgericht einem Schuldner einräumen, seine Unterlagen so zu vervollständigen, so dass die formalen Anforderungen erfüllt sind und der Richter den Sachverhalt angemessen verstehen kann und nicht im Nebel stochern muss?"
Teilnehmer warfen die Frage auf, ob Richter, die zu 75 Prozent Familien- und zu 25 Prozent Insolvenzrecht betreuten, die Bilanzunterlagen sach- und fachkundig auswerten könnten.
Kommt der "Profi Gläubiger"? Die "Zwei-Klassen-Gesellschaft" bei den Verwaltern?
Eine weitere Herausforderung sieht Schuppener von TMC auf Seite der institutionellen Gläubiger. "Mit dem ESUG will der Gesetzgeber sicherstellen, dass Gläubiger sehr viel früher einen sehr viel stärkeren Einfluss auf das Insolvenzverfahren bekommen als bislang üblich. Ab März sollen die Insolvenzgerichte einen vorläufigen Gläubigerausschuss bestellen. Wir können nicht abschätzen, wie viele Gläubigerausschüsse besetzt werden müssen, über wie viele 'geeignete Personen' institutionelle Gläubigerwie Banken, Kreditversicherer, Verwaltungen oder Gewerkschaften derzeit tatsächlich verfügen."
Das ESUG verpflichtet die Insolvenzgerichte, einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, sobald das Unternehmen wenigsten zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt: mindestens 4,84 Mio. Euro Bilanzsumme, mindestens 9,68 Mio. Euro Umsatzerlöse, im Jahresdurchschnitt 50 Mitarbeiter.
Der vorläufige Gläubigerausschuss erhält mit dem ESUG ein frühes Mitspracherecht bei der Auswahl des Insolvenzverwalters. Er kann dem Insolvenzgericht eine bestimmte Person als Insolvenzverwalter vorschlagen. Erfolgt das Votum einstimmig, so ist das Gericht bei grundsätzlicher Eignung des Vorgeschlagenen an diesen Vorschlag gebunden.
Wird das ESUG zu einer Belastung für Kreditinstitute? Die Debatte wurde von den Fragen dominiert, ob die Anforderungen - und Haftungsrisiken - an Mitglieder von Gläubigerausschüssen ebenso stark steigen werden wie die Ansprüche an Aufsichtsräte.
Darüber hinaus wurde die Frage aufgeworfen, ob die" Profi-Gläubiger" immer die gleichen "Insolvenz-Profis" vorschlagen werden. Entsteht künftig eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft"? "Unten" die regional tätigen Insolvenzverwalter, die bislang schon auf den Vorauswahllisten der Insolvenzgerichte standen und bei den regional tätigen Gläubigerbanken bekannt sind - und unter ESUG noch für kleine und mittlere Betrieb bestellt werden. "Oben" immer die gleichen überregional tätigen Kanzleien, die bei immer den gleichen überregional und international tätigen institutionellen Gläubigern bekannt sind und von den Gläubigern für mittelständische Unternehmen und die großen Insolvenzfälle "bestellt" werden?
Mit Liquiditätsvorschau "vorläufig zahlungsunfähig" eigenverwaltend weitermachen?
Mit dem ESUG soll der möglichst frühzeitige Insolvenzantrag gefördert werden. Bei "drohender Zahlungsunfähigkeit" kann das kriselnde Unternehmen sich für längstens drei Monate unter einem "Schutzschirm" vor Vollstreckungsmaßnahmen schützen, auf die Sanierung konzentrieren und in Eigenverwaltung einen Restrukturierungsplan ausarbeiten. Dieser kann anschießend als Insolvenzplan umgesetzt, das Unternehmen entschuldet und saniert werden.
"Je mehr Substanz noch das ist, desto höher sind die Sanierungschancen", erläutert Bernd Depping die Idee des Schutzschirms. "Die Insolvenzgerichte benötigen dann eine Liquiditätsvorschau, um beurteilen zu können, ob der Antragsteller nicht doch zahlungsunfähig oder überschuldet ist."
"In der Praxis wird sich gerade bei dem neuen Schutzschirmverfahren zeigen müssen, wie praktikabel dieses Sanierungsinstrument tatsächlich ist", fasst Jörg Schuppener die Diskussion zusammen. "Gerichte und Gläubigerausschüsse werden einen Weg finden müssen, Interessenkollisionen zu erkennen, wenn der Autor des Sanierungs- und Insolvenzplans mit dem Unternehmen vorbefasst war und nach dem Willen des schuldnerischen Unternehmens dennoch Sachwalter werden soll."