- Sanierungsexperten diskutieren mit ehemaligem Präsidenten des FC St. Pauli
- Littmann: unpopuläre Entscheidungen treffen unter permanenter Beobach-tung
- Mediale Aufmerksamkeit Fluch und Segen
Über 50 Restrukturierungs- und Sanierungsexperten der TMA Deutschland haben am Millerntor den "Turnaround of Emotions" des Fußballclubs FC St. Pauli mit dessen ehemaligen Präsidenten Corny Littmann diskutiert. Littmann war von Dezember 2002 bis Ende 2010 Präsident des Clubs, der in diesen Jahren den Durchmarsch von der Regionalliga in die erste Bundesliga geschafft hat.
Unpopuläre Maßnahmen notwendig Als Littmann zum Jahresende 2002 sein Amt als Präsident antrat lag der FC St. Pauli auf dem letzten Platz der 2. Bundesliga.
"Dennoch leistete unser Club sich einen Verwaltungsapparat wie ein Erstligist. Die wirtschaftlichen Realitäten waren noch nicht realisiert worden", so Littmann. Innerhalb kurzer Zeit trennte der Verein sich von bisherigen Führungskräften und passte Sach- und Personalkosten an den engen finanziellen Rahmen an, den schon eine erste Analyse ergeben hatte. "Von rund 100 Arbeitsgerichtsprozessen, die wir anschließend führen mussten, haben wir nicht einen einzigen verloren", erklärt Littman, der seit Anfang der 90er Jahre mit seinen Theatern auf der Reeperbahn als Unternehmer erfolgreich ist.
Die erste Analyse hatte auch ergeben, dass von den damals 3.000 Sitzplätzen auf der Haupttribüne rund 1.000 Plätze mit Ehrenkarten vergeben waren, allein die Stadionzeitung kostete damals einen siebenstelligen Betrag pro Jahr. "Auch in diesen Fällen haben wir uns an den wirtschaftlichen Realitäten orientiert und unpopuläre Entscheidungen getroffen. Neue Freunde schafft man sich damit nicht", sagt der ehemalige Präsident.
Als der Deutsche Fußball Bund (DFB) zusätzlich zu den rund zwei Mio. Euro Schulden des Vereins eine Sicherheit von 1,9 Mio. Euro innerhalb weniger Wochen verlangte, wurde unter anderem die "Retter"-Kampagne geboren.
"Unsere Analysen hatten ergeben, dass der FC St. Pauli weltweit rund acht Millionen Fans und 17 Millionen Sympathisanten hat", erläutert Littmann. "St. Pauli ist für viele Menschen über den Fußball hinaus Ausdruck eines Lebensgefühls. Die Retter-Kampagne war emotional stark aufgeladen und wirtschaftlich die erfolgreichste unserer Aktionen, um kurzfristig die geforderten Sicherheiten hinterlegen zu können."
"Ständig unter Beobachtung"
Selbstverständlich sei ein Bild des Managers des FC Bayern München im Retter-T-Shirt, das rund um die Welt ging, nahezu unbezahlbar, so Littmann.
"Uwe Seeler und der erste Bürgermeisters Ole von Beust haben hier am Millerntor Tickets verkauft, unser Zugpferd Holder Stanislawsky ging bei unserer Aktion für lebenslängliche Dauerkarten voran, der ganze Hamburger Senat folgte unserer Einladung zu einem - für St. Pauli erfolgreichen - Pokalspiel", erzählt Littmann. Bei all diesen Aktionen sei die mediale Verbreitung unheimlich hilfreich gewesen.
"Die Kehrseite medialer Aufmerksamkeit, eine manchmal geradezu mörderische Aufmerksamkeit habe ich gerade während der Phase erlebt, als die drastischen, unpopulären Entscheidungen nicht nur angekündigt sondern auch noch umgesetzt wurden", so Littmann. "Mitunter hatte ich den Eindruck, jeder Mitarbeiter hat seinen eigenen Journalisten an der Hand. Der Wettbewerb der Medien führt dann dazu, dass sich der Ton der Berichterstattung immer weiter verschärft."
Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Littmann öffentlich eingestanden, er "habe keine Ahnung vom Fußball". Dies führte zu einem Aufschrei bei Medien wie bei Fans. "Wichtig war, dass wir innerhalb des Vereins klar Verantwortlichkeiten aufgeteilt haben. Entscheidend für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg war, dass diese Verantwortung konsequent eingefordert und auch Konsequenzen gezogen wurde", ist Littman überzeugt. "Haben Mitarbeiter und Fans die Realitäten anerkannt, dann lässt sich in einer längeren Zeit der Not sachlich und konsequent führen, da keine Begehrlichkeiten aufkommen können", so Littmann abschließend.
Dr. Frank Nikolaus, Vorsitzender des Präsidiums der TMA, fasste die Diskussion zusammen: "Die Strukturen, wie Unternehmungen in Schwierigkeiten geraten, sind immer ähnlich. Im Fußball ist es eine ganz besondere Herausforderung, die Ansprüche der Fans und der Öffentlichkeit zu managen. Bei mir ist der Eindruck hängen geblieben, dass der FC St. Pauli einen Würdenträger erwartete und einen Leistungsträger mit unternehmerischer Erfahrung bekam. Wenn ich die Branche richtig verstehe, dann ist die Sanierung eines Proficlubs nie zu Ende, weil erste Erfolge auch erste neue Begehrlichkeiten wecken."
Die Turnaround Management Association (TMA) Deutschland
Im Rahmen der Vorgaben der TMA Turnaround Management Association, Chicago, USA, hat sich die Gesellschaft für Restrukturierung - TMA Deutschland e.V. zum Ziel gesetzt, in dem Bereich der Unternehmensrestrukturierung und -sanierung sowie der sanierenden Unternehmensinsolvenzen in der Bundesrepublik Deutschland unterstützend tätig zu werden und die internationale Zusammenarbeit ihrer derzeit über 200 Mitglieder sowie deren Fortbildung zu fördern.
Weitere Informationen unter www.tma-deutschland.org