Allein 500.000 Tonnen Stahl und Beton pro Standort zu entsorgen
Der geplante Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland stellt die Betreiberunternehmen vor riesige Herausforderungen, denn sie sind für den Rückbau verantwortlich. Schätzungen gehen davon aus, dass die Kosten pro Kernkraftwerk für den kompletten Rückbau bis zur grünen Wiese bei rund einer Milliarde Euro liegen. Ein Grund dafür ist die Dimension der zu entsorgenden Stoffe: Es fallen allein rund 500.000 Tonnen Stahl und Beton an. „Diese Massen müssen zerlegt, gemessen, bei Bedarf dekontaminiert und schließlich deponiert oder die wiederverwertbaren Anteile müssen einer ordentlichen Verwendung zugeführt werden“, sagt Bruno Kuckartz, Bereichsleiter bei TÜV Rheinland. Besonders kritisch ist der verbleibende Anteil des radioaktiven Abfalls, der nur bei zwei bis drei Prozent der Gesamtmasse liegt.
Obwohl der vollständige Ausstieg aus der nuklearen Stromerzeugung noch einige Jahre auf sich warten lässt, ist der Erfahrungsschatz der Spezialisten von TÜV Rheinland bereits erheblich. Erste Rückbauprojekte in diesem Geschäftsbereich von TÜV Rheinland datieren aus den 1980er Jahren. Allein in Deutschland ist TÜV Rheinland an den teilweise noch nicht abgeschlossenen Rückbauten der Versuchsreaktoren im Forschungszentrum Jülich sowie der Leistungsreaktoren an den Standorten in Hamm-Uentrop, Mülheim-Kärlich, Rheinsberg und Würgassen beteiligt. Bruno Kuckartz betont dabei die Vielseitigkeit der Dienstleistungen: „Die unterschiedlichen Anlagentypen stellen uns nicht vor Probleme. Wir begleiten den gesamten Rückbauprozess vom Restbetrieb nach Endabschaltung über das Genehmigungsverfahren bis zur Freimessung und Abfallkonditionierung für die Endlagerung. Dabei stehen Dienstleistungen zur Qualitätssicherung und Dokumentation sowie insbesondere zum Strahlen- und Umweltschutz im Vordergrund.“
Direkte Entsorgung oder sicherer Einschluss
Während die technischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Rückbau längst vorhanden und durch einige abgeschlossene Projekte verifiziert sind, fehlt es noch immer an geeigneten Endlagern für den radioaktiven Abfall. Entsprechend sind Prognosen über den Abschluss aller Rückbaumaßnahmen schlicht nicht möglich. Die in Deutschland favorisierte Form ist der „direkte Rückbau“, also die unmittelbare Entnahme und Beseitigung aller strahlenden Materialien aus dem Reaktor. Bei diesem Verfahren kann ein vollständiger Rückbau innerhalb von zehn Jahren gelingen, doch aktuell fehlen dazu die notwendigen Lagerungsmöglichkeiten, so dass die radioaktiven Reststoffe und die Brennelemente am Kraftwerksstandort oder an einem anderen Ort zwischengelagert werden müssen.
Die Alternative zum direkten Rückbau ist der „sichere Einschluss“, bei dem die Brennelemente in sogenannten Castor-Behältern eingeschlossen und am Standort des Kraftwerks zwischengelagert werden. Das Kraftwerk mit seinen radioaktiven oder kontaminierten Systemen bleibt im Wesentlichen verschlossen und bewacht stehen. „Auch für diesen Fall des sicheren Einschlusses bieten wir Dienstleistungen an, um Strahlen- und Umweltschutz sicherzustellen“, sagt Bruno Kuckartz. Eine wesentliche Rolle beim Rückbau spielt der effektive Schutz vor gesundheitsgefährdender radioaktiver Strahlung.
Deshalb begleiten erfahrene Strahlenschutzexperten von TÜV Rheinland den gesamten Prozess, beurteilen die geplanten Abbau- und Dekontaminationsverfahren und spüren gemeinsam mit dem Betreiber mögliche Gefahrenpotenziale auf. Für jedes neue Rückbauprojekt wird dafür ein exaktes Stoffkataster erstellt, das gesundheitsgefährdende Stoffe detailliert aufführt, die beim Rückbau anfallen. „Auf dieser Basis werden dann Verfahren und Schutzmaßnahmen entwickelt, die Freisetzungen während Abbau und Lagerung effektiv verhindern“, ergänzt der TÜV Rheinland-Experte.
300 Experten beim Rückbau-Symposium
Wie sehr das Thema Rückbau von Kraftwerken inzwischen die Branche beschäftigt, unterstreicht das von TÜV Rheinland zum zweiten Mal initiierte Rückbau-Symposium Ende vergangenen Jahres in Aachen. Mehr als 300 Experten aus der Industrie, von Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, Anlagenbetreibern und Forschung tauschten sich aus. Der Tenor des Fachkongresses: Die grüne Wiese anstelle eines Kernkraftwerks ist bewährte Praxis, denn das fachliche Know-how für den Rückbau ist sowohl bei den Betreibern als auch bei den Prüforganisationen oder den Entsorgungsunternehmen vorhanden. Lediglich die fehlenden Endlager könnten dazu führen, dass die Kernenergie aufgrund der Zwischenlagerung in Deutschland noch sehr lange ein Thema bleibt.