Elektronische Sicherheitssysteme helfen dem Fahrer in schwierigen Situationen. Ihr Nutzen ist inzwischen unstrittig. So hat die Verkehrsunfallforschung an der Technischen Universität Dresden ermittelt, dass beispielsweise durch den Einsatz des Bremsassistenzsystems bezogen auf reale Unfälle die Zahl der Leichtverletzten um 5,8 Prozent geringer ausgefallen wäre, die der Schwerverletzten um 3,7 Prozent und die der getöteten Personen um drei Prozent.
Damit die elektronischen Helfer aber wirklich helfen, müssen sie funktionieren - über die gesamte Lebensdauer eines Fahrzeugs. "Das Sicherheitsniveau eines Fahrzeugs muss erhalten bleiben. Das kann nur durch die Hauptuntersuchung sichergestellt werden", sagt Martin Jost, Direktor für Sachverständigenwesen bei der TÜV SÜD Auto Service GmbH, und fügt hinzu: "Manchmal werden Komponenten wie der Airbag nach einem Unfall ausgebaut, um die teure Reparatur zu vermeiden." Das ist nicht nur eine Vermutung, sondern inzwischen Gewissheit: Allein zwischen April und Dezember 2006 identifizierten die Kfz-Sachverständigen in Deutschland bei der HU rund 38.000 fehlerhafte oder manipulierte Airbagsysteme. Diese Zahl ist seither kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2008 wurde auf Basis der Hauptuntersuchungen in Deutschland an 77.000 untersuchten Fahrzeugen mindestens ein Airbagsystem bemängelt.
Rechtliche Grundlage für die neue Hauptuntersuchung (HU): die Systemdatenrichtlinie (41. Änderungsverordnung für StVZO § 29), die seit dem 1. April 2006 gilt. Inhalt: Bei Pkw, Lkw, Omnibussen, Motorrädern und Anhängern, die nach diesem Datum neu zugelassen wurden, müssen die elektronisch geregelten Systeme überprüft werden. Das heißt: Bei solchen Fahrzeugen testen die Sachverständigen bei der HU nicht mehr nur Bremskraft und die Beleuchtung, sondern checken auch die elektronischen Helfer. Funktionieren die nicht, verweigern die TÜV SÜD-Sachverständigen die Plakette. Das Ziel: mehr Sicherheit auf den Straßen.
Hauptuntersuchung fit gemacht
Um die Hauptuntersuchung in Sachen Elektronik auf den neuesten Stand zu bringen, hat TÜV SÜD gemeinsam mit anderen Prüfgesellschaften bereits vor fünf Jahren die Fahrzeugsystemdaten GmbH (FSD) mit Sitz in Dresden gegründet. Aufgabe: Alle relevanten Systemdaten der Fahrzeughersteller zusammentragen, um den Verbau und die Funktionsweise der elektronischen Helfer überprüfen zu können. Die Datenbank umfasst mittlerweile Angaben für mehr als 60 Millionen in Deutschland zugelassener Fahrzeuge. Darin enthalten: die individuell bestellten und eingebauten Sicherheitssysteme mit ihrer spezifischen Funktionsweise von einem Großteil der in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge. Dazu René Babick von der FSD: "Standen zu Beginn der Prüfvorgabenentwicklung 2004 die Daten nur bezogen auf die Fahrzeugmodelle bereit, haben wir jetzt die individuellen Verbauinformationen für jedes Fahrzeug über die Fahrzeugidentifikationsnummer bereitgestellt". Auf der Basis dieser Daten haben die Experten von der FSD gemeinsam mit den Kfz-Herstellern standardisierte Prüfvorgaben entwickelt, die für alle verbauten elektronischen Sicherheitssysteme gelten. Sie sind die Grundlage der neuen elektronischen Hauptuntersuchung.
Wie funktioniert die elektronische Hauptuntersuchung?
Untersucht werden zunächst Verbau, Echtheit und Funktionsweise der folgenden acht Sicherheitssysteme: die Bremsanlage, die Lenkanlage, aktive lichttechnische Einrichtungen wie Kurvenlicht, Sicherheitsgurte oder andere Rückhaltesysteme, Airbags, Geschwindigkeitsbegrenzer, fahrdynamische Regelsysteme wie ESP und bei Cabriolets auch der Überrollschutz. Auf der Basis der gesammelten Daten der verschiedenen Fahrzeugtypen werden bei den einzelnen Systemen gezielt Teile der Wirkungskette mit systemspezifischen Prüfalgorhythmen überprüft. Das bedeutet beispielsweise für die elektronische Feststellbremse, dass auf dem Bremsenprüfstand verschiedene Prüfsequenzen gefahren werden, bei denen schrittweise die Wirkung der Bremse geprüft wird. Der Sachverständige ist dabei online mit dem Fahrzeug und dem HU-System verbunden und kann die Ergebnisse direkt am Fahrzeug auf einem PDA ablesen und sie in das System für den abschließenden Prüfbericht einfließen lassen. Das gilt für die gesamte neue elektronische Hauptuntersuchung.
Beispiel ABS: Hier schauen die Sachverständigen zunächst, ob alle Sensoren sachgemäß verbaut sind, ob diese auch den Vorgaben des Herstellers entsprechen und ob sie nicht beschädigt sind. Danach wird über verschiedene Schritte der Eigendiagnose hinaus wieder auf Basis der gesammelten typspezifischen Daten die Funktionalität überprüft.
Die gleiche Vorgehensweise gilt für Airbags: Auch dort wird über Teile der Eigendiagnose hinaus die Vorschriftsmäßigkeit überprüft. Hinzu kommt wieder ein Überprüfen der Sensoren an den vom Hersteller vorgegebenen Stellen im Fahrzeug.
Außerdem überprüfen die Sachverständigen, ob die Airbags nicht durch Anbauten beeinträchtigt oder sogar gefährlich sein können: "Manche Autofahrer schrauben das Mikro für die Freisprecheinrichtung auf den Airbag an der A-Säule. Wird der bei einem Unfall korrekt ausgelöst, landet das Mikro samt Schraube im Kopf des Fahrers. Auf solche Veränderungen achten wir natürlich", erklärt Babick zur Vorgehensweise bei der neuen elektronischen Hauptuntersuchung.
Schnell und effektiv
Nächstes Ziel für die Entwicklung der Hauptuntersuchung: Die Nutzung der Fahrzeugschnittstelle (On-Board Diagnose) im Fahrzeug. Dort können die Systemdaten von sicherheitsrelevanten elektronischen Systemen mit der Datenbank des Prüfers verglichen werden und damit die komplizierte und zeitaufwändige Einzelprüfung verbauter Helfer ersetzt werden. "Mit dem neuen HU-Tool zur Prüfung elektronisch geregelter Systeme direkt über die Fahrzeugschnittstelle sind wir mit der Hauptuntersuchung im 21. Jahrhundert angekommen", betont René Babick von der FSD. Über die OBD-Schnittstelle, die ohnehin jedes moderne Fahrzeug besitzt, lässt sich innerhalb von Sekunden ermitteln, ob die Geräte vorhanden sind, ob es sich um Originalteile handelt - das wird über die Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) sichergestellt - und ob alle zu einem System gehörenden Komponenten einwandfrei funktionieren, nicht manipuliert oder unsachgemäß repariert wurden.
Dazu gehört ebenso der Abgleich von Daten während der Fahrt. Beispiel adaptives Bremslicht. Prüfvorgaben eines Herstellers dazu: Bei 60 km/h eine Vollbremsung machen und die Funktion von einem folgenden Fahrzeug aus testen. "Das können wir nicht leisten", erklärt Hans-Ulrich Höhn, Niederlassungsleiter Dresden bei der TÜV SÜD Auto Service GmbH, und fügt hinzu: "Mit zukünftigen Systemen, wie dem hier vorgestellten HU-Tool der FSD, können wir alle Funktionen über die Schnittstelle unter realen Bedingungen elektronisch überprüfen." Alle Prüfhinweise sollen den Sachverständigen bundesweit einheitlich in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden. Zurzeit ist der HU-Adapter in der Validierungsphase.
Zukünftig wird mit ihm die elektronische Hauptuntersuchung noch effizienter und transparenter. In enger Zusammenarbeit mit den Autobauern erarbeitet die FSD aus diesen Daten standardisierte Prüfvorgaben für die Kfz-Sachverständigen als Grundlage der nächsten Generation der Hauptuntersuchung.
Hinweis: Bilder von der elektronischen Hauptuntersuchung können in reprofähiger Auflösung unter www.tuev-sued.de/pressefotos in der Rubrik "Aktuelle Pressebilder" herunter geladen werden.