Optimale Strategie gesucht
Eine wichtige Gemeinsamkeit: Belohnung und Bestrafung können sowohl Nagetiere als auch Menschen bei der Entscheidungsfindung leiten: Lob und Anerkennung sind viel erstrebenswerter als Ablehnung und Tadel. Professor Israel (Eli) Nelken von der HUJI hat an Ratten untersucht, wie sie optimale Strategien zur Gewinnmaximierung bei der Nahrungssuche entwickeln.
Dazu hat der Hirnforscher das Verhalten seiner vierbeinigen Schützlinge in einem großen Trainingsgelände (1,6 Meter im Durchmesser) namens RIFF (Rat Interactive Foraging Facility) unter die Lupe genommen. Zum einen mit Audio- und Videoaufnahmen, zum anderen mit Chips, die mehrmals pro Sekunde die Aktivität der Nervenzellen aufzeichnen. Nelken macht gleich zu Beginn seines Online-Vortrags klar: „Die Datenmenge ist so groß, dass wir nicht alles vollständig verstehen, aber ich werde erklären, wie wir uns dem nähern.“
Übung macht den Meister
Das Trainingsgelände ist recht einfach aufgebaut: An mehreren Stationen können die Nager durch Anstupsen Belohnungen in Form von Futter oder Wasser erhalten oder bei falscher Wahl mit einem Luftstoß bestraft werden. Kurze Melodien weisen auf die Verfügbarkeit von Belohnungen hin, während der englische Satz „Don't go there“ auf Bestrafung hinweist. Innerhalb kürzester Zeit lernten die Tiere erfolgreiche Strategien: „Am ersten Tag erzielten sie zwei Belohnungen pro Minute, am zweiten Tag waren es bereits sieben“, erklärt der Wissenschaftler.
Dabei hilft der Markov-Entscheidungsprozess (MEP), nach dem die besten Entscheidungen im Moment getroffen werden: „Es ist möglich, die Strategie zu optimieren, indem man die Entscheidungen nur auf der Grundlage des aktuellen Zustands trifft, ohne zu berücksichtigen, wie die Ratte dorthin gelangt ist“, erklärt Nelken. Er folgt dabei den Ideen seines langjährigen Weggefährten, dem ehemaligen Professor für Informatik an der HUJI: Naftali Tishby. Nelken zeigt, dass Ratten Verhaltensstrategien anwenden, die sowohl gut als auch einfach sind.
Sprachmodelle als Experten für Unternehmensbeziehungen
Diese zu verfolgen, ist für Nagetiere ebenso wichtig wie für uns Menschen. In der Geschäftswelt etwa stehen Unternehmen oft vor essentiellen Fragen wie: Partner oder Konkurrent? Kunde beziehungsweise Lieferant oder Wettbewerber? Die Beziehung von Unternehmen untereinander zu verstehen, ist in mehrerlei Hinsicht wichtig, erklärte Sebastian Müller, Professor of Finance und Direktor des Center for Digital Transformation am TUM Campus Heilbronn, in seinem Vortrag zum Thema „Global Business Networks“: Ob es um Fusionen und Übernahmen, die Suche nach potenziellen Kunden und Lieferanten oder um eine angemessene Preispolitik geht – jedes Unternehmen müsse seine Wettbewerber, Partner, Kunden und Lieferanten kennen.
Sebastian Müller und sein Doktorand Christian Breitung knüpften an eine Studie an, die untersucht hat, wie stark sich Geschäftsbeschreibungen in Jahresberichten gleichen: Je höher die Übereinstimmungen, desto ähnlicher die Firmen und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie Konkurrenten sind. Im zweiten Schritt ließen Müller und sein Team eine Geschäftsbeschreibung von KI-basierten Sprachmodellen wie GPT-3 erstellen, um daraus globale Unternehmensnetzwerke zu konstruieren. Diese lassen verschiedene Schlussfolgerungen zu: zum Beispiel, dass sich die Aktien eines Unternehmens, das einem bisher erfolgreichen Netzwerk angehört, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig gut entwickeln werden. Außerdem lasse sich das Sprachmodell soweit verfeinern, das allein anhand des Textes zwischen Wettbewerbern und Kunden-Lieferanten-Beziehungen unterschieden werden könne.
Wenn Schweigen nur Silber ist
Auch bei der Spieltheorie steht die Entscheidungsfindung im Fokus. Das verdeutlichte David Wuttke, Assistant Professor für Supply Chain Management am TUM Campus Heilbronn, in seinem Vortrag mit dem Titel „Decision Making with Game Theory.” Aus der Spieltheorie lassen sich so manche Schlüsse auf Lieferketten ziehen, etwa aus dem sogenannten Gefangenendilemma. Bei diesem Gedankenexperiment müssen sich zwei imaginäre Verdächtige entscheiden, ob sie miteinander kooperieren – also über ihre Tat schweigen und beide moderat bestraft werden – oder ob sie den eigenen Vorteil auf Kosten des anderen verfolgen – also den Komplizen verraten, um selbst begnadigt zu werden. Es zeige sich: „Egal was der andere tut, für mich ist es immer besser zu reden, als zu schweigen“, erklärte Wuttke. Gleichgewicht – also ein Zustand, indem keiner der beiden sein Ergebnis eigenmächtig verbessern kann – ist nicht immer optimal. Auf Lieferketten übertragen bedeute das: Wenn alle beteiligten Firmen ihren Profit maximieren, kommt im Gleichgewicht nicht unbedingt das Optimum heraus – Kooperation ist wichtig.
Sogar aus dem Spiel „Schere, Stein, Papier“ lassen sich Schlüsse für Unternehmensbeziehungen ziehen: Wie bei dem Spiel kann es auch im Geschäftsleben von Vorteil sein, von vornherein bewusst auf eine Zufallsstrategie zu setzen. Andernfalls könne man zu vorhersehbar sein und von der Konkurrenz ausgenutzt werden.
Die Macht des Zufalls
Was konnten die Teilnehmenden also mit nach Hause nehmen? Ratten sind immer hungrig, KI wird zum Experten für Unternehmensbeziehungen und Geschäftsentscheidungen trifft man am besten bei einer Partie „Schere, Stein, Papier“? Den tatsächlichen Erkenntnisgewinn brachte Gastgeber Prof. Helmut Krcmar, Gründungsdekan und Beauftragter des Präsidenten für die Gesamtentwicklung des TUM Campus Heilbronn, prägnant auf den Punkt: „Das Webinar hatte zum Ziel, verschiedene Blickwinkel auf den Entscheidungsprozess zu werfen. Wir haben erfahren, dass individuelles Verhalten Entscheidungen ebenso beeinflusst wie die gegebenen Rahmenbedingungen. Zudem verändern sich Entscheidungsprozesse, wenn es mehrere Akteure gibt oder der Zufall ins Spiel kommt.“