Alexander Stolte, Doktorand am Center for Digital Transformation am TUM Campus Heilbronn, hat untersucht, wie sich die Struktur der Plattformen auf die Nutzerinnen und Nutzer auswirkt und welche Möglichkeiten der Marktregulierung es gibt.
Die Faszination für digitale Plattformen entwickelte sich bei Alexander Stolte im Verlauf seiner akademischen Laufbahn: „Nach meinem Bachelor in Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und meinem Master in Economics an der Ludwig-Maximilians-Universität wollte ich Forschung mit Praxisbezug betreiben und digitale Innovationen und gesellschaftliche Auswirkungen sichtbar machen.“
Diese Möglichkeit bot ihm Professor Jens Förderer am TUM Campus Heilbronn. Angebot und Nachfrage passten: „Das Forschungsfeld der digitalen Plattformen betrifft sehr viele Menschen.“ Zudem biete der Campus in Heilbronn viele Standortvorteile: „Die Prozesse sind sehr schlank organisiert, die Dienstwege kurz. Außerdem sind Ausstattung und Infrastruktur top. Das sind alles Vorzüge des neu entstandenen Campus.“
Grenzenlose Macht?
Eine der bedeutendsten digitalen Plattformen ist Google. Ein Vorteil ist seine scheinbar grenzenlose Macht – kaum ein anderes Unternehmen besitzt so viele Informationen über die zugängigen Teile des World Wide Webs. Als Marktbetreiber kanalisiert der Softwareriese die Anbieter von Webseiten durch Rankings. Doch wie verdient der Konzern damit Geld? „Ein Teil der Suchergebnisse wird gesponsert. Erst wenn diese Links angeklickt werden, verdient Google Geld“, erklärt Stolte.
Mit einer ausgeklügelten Choice Architecture versucht das Unternehmen den Nutzern ein möglichst individuelles Angebot an Suchergebnissen anzubieten. Eine spannende Frage ist dabei, wie viele Suchergebnisse angezeigt werden sollten. Daher beschäftigt sich Stolte mit dem sogenannten Unendlichen Scrollen, bei dem die Suchergebnisse dynamisch nachladen. Dies ist vorteilhaft bei sehr gezielten Suchintentionen, bei denen der Nutzer bereits weiß, wonach er sucht.
Sogenannte Snippets beantworten Fragen der Nutzer direkt, sie sind eine Vorschau auf Inhalte von Webseiten. Der Clou dabei: „Die Wertschöpfung bleibt bei der Plattform und nicht mehr bei den nachgelagerten Webseiten. Die Suchkosten werden enorm reduziert und der Nutzer hat den Vorteil, nicht weiterklicken zu müssen.“ Gleichzeitig hat Google das unendliche Scrollen eingeführt: Es gibt kein Maximum an Suchergebnissen, die auf eine Seite reduziert werden.
Microsoft mischt mit
Haben wir es also de facto mit einem Monopol zu tun? „Die Marktmacht von Google überrascht mich. Der einzelne Webseitenbetreiber ist sehr abhängig von der Plattform und hat wenig Gestaltungsspielraum, weil Google natürlich auch technische Standards setzt“, erklärt der junge Doktorand. Doch mit Microsoft und seiner digitalen Plattform Bing mischt ein zweiter mächtiger und vor allem finanzstarker Player mit.
Zudem gefährden die zahlreichen Kartellverfahren gegen Google das Unternehmen als solches, da am Ende auch eine Zerschlagung oder Abspaltung von Geschäftseinheiten stehen könnte. Gleichzeitig könne jederzeit die nächste große Innovation den Suchmaschinenmarkt erschüttern. Es gebe auch viele Nischen, in denen kleinere Anbieter oft besser angepasste Suchmaschinen anbieten. „Hier können respektable Wettbewerber entstehen“, ist sich der Wissenschaftler sicher.
Neue Wettbewerber am Horizont
Nicht zu vergessen die neu entwickelten Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT. Noch individueller und zielgerichteter geben diese Systeme Antworten. Stolte äußerte jedoch Bedenken: „Man merkt, dass den LLMs die inhaltliche Präzision, das Begriffsverständnis fehlt.“ Google hingegen indexiere das Internet und speichere die Informationen auf eigenen Servern. „Es gibt immer die Quelle, das ist das Privileg oder der Luxus von Google. Zu jedem Suchergebnis gibt es auch den Link.“
Die Entscheidungsarchitektur kann jedoch von der Plattform ganz gezielt missbraucht werden, um sogenannte „Dark Pattern“ einzubauen. Diese geben der Plattform die Chance, den Nutzer unbemerkt zu manipulieren, sodass häufiger Abonnements abgeschlossen oder unvorteilhafte Kaufentscheidungen getroffen werden. Im Fall von Suchmaschinen entfällt der Klick dann häufiger auf die Werbung, die gut und geschickt präsentiert wird, aber nicht den eigentlichen Nutzen liefert. Dies ist oft nicht nachvollziehbar, da zu wenig Informationen über die Marktteilnehmer vorliegen.
Mangelnde Transparenz
Ein Problem im Bereich der digitalen Plattformen: „Es gibt keine Transparenz. Eine große technische Herausforderung besteht darin, herauszufinden, welche Informationen die Algorithmen zu einer Entscheidung veranlassen. Das Wie und Warum ist für das Geschäftsinteresse einer Plattform zweitrangig“, erklärt Stolte. Die Entwicklung der Algorithmen von Google sei zudem das Ergebnis von Investitionen in Milliardenhöhe, daher müssten auch diese Geschäftsgeheimnisse gewahrt bleiben.
Die Vereinbarungen zwischen Regulierer und Anbieter basierten daher weitgehend auf Vertrauen: „Es gibt eigentlich keine Kontrollmechanismen. Die Anzahl der Suchanfragen pro Tag und die Größe eines Suchmaschinenindexes lassen eine Kontrolle oder ein Tracking im klassischen Sinne nicht zu. Niemand hat die Ressourcen dafür.“
Staatliche Eingriffe
Im Digital Markets Act der Europäischen Union wurde dennoch versucht, die Macht der Gatekeeper von staatlicher Seite zu begrenzen. Eine erfolgreiche Maßnahme? „Definitiv. Die großen Plattformen werden erstmals einer Aufsicht und Regulierung unterworfen.“ Ein besonders starker Einschnitt ist das Verbot des „Self-Preferencing“, das Google verpflichtet, eigene Dienste in den Suchergebnissen nicht bevorzugt vor Drittanbietern oder anderen Webseiten anzuzeigen.
Eines der nächsten Forschungsziele von Alexander Stolte könnte es sein, zu definieren, wo das Ökosystem einer Plattform beginnt und wo es aufhört. „Bei Anbietern wie Apple kann man diese Grenze sehr sauber und produktbezogen ziehen, während Google wie ein Krake im Internet ist, der sich versteckt und dem man nicht entkommen kann, weil wir Nutzer Google die Macht über unser Suchverhalten geben.“ Es bleibt also spannend.