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Warum Trägheit gefährlicher sein kann als Kriminalität

Prof. Ortwin Renn referiert bei der Heilbronner Bürger-Uni über „Die Psychologie des Risikos“

(PresseBox) (Heilbronn, )
Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können: In den USA gewinnt ein Rechtspopulist die Präsidentschaftswahl. In Berlin zerbricht die Ampelkoalition am Streit zwischen den Parteien. Und bei der Heilbronner Bürger-Uni warnt ein Risikoforscher vor den Gefahren des Populismus und ruft die Politik zur parteiübergreifenden Zusammenarbeit auf.

Ortwin Renn heißt der Professor unter anderem für Risikomanagement und -kommunikation vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) am Helmholtz Zentrum Potsdam. Er spricht bei der 25. Ausgabe der von TUM Campus HeilbronnHeilbronner Stimme und Dieter Schwarz Stiftung gemeinschaftlich organisierten Veranstaltung über „Die Psychologie des Risikos“. Risiko ist nicht gleich Risiko – das lernen die Zuhörer bei der von Heilbronner Stimme-Redakteur Tobias Wieland moderierten Veranstaltung auf dem Heilbronner Bildungscampus schnell. Zunächst gibt es Unterschiede zwischen reichen und ärmeren Ländern: Während in reichen Staaten Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel und eine unausgewogene Ernährung längst zu den größten Risikofaktoren geworden sind, stellen in Staaten mit niedrigem Einkommen Infektionen, Unterernährung und Arbeitsunfälle nach wie vor große Bedrohungen dar.

Drohende und schleichende Gefahren

Risiken unterscheiden sich nicht nur nach Ländern, sondern auch nach der Art ihres Auftretens. Da gibt es die drohende Gefahr, etwa in Form eines Atomkraftwerkes: Dieses birgt ein hohes Katastrophenpotenzial in sich – aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass der GAU eintritt. Es gibt schleichende Gefahren, also nicht wahrnehmbare, langsame, aber trotzdem bedrohliche Veränderungen des Klimas oder der Umwelt. Es existieren verdrängte Gefahren in Form einer ständigen Bedrohung, die irgendwann nicht mehr wahrgenommen wird – wie das Risiko einer Flutkatastrophe in Regionen mit häufigen Hochwassern. Und es gibt eingebildete Gefahren, die eigentlich gar nicht existieren, aber von bestimmten Akteuren immer wieder als Bedrohung dargestellt werden.

Menschen nehmen Risiken also unterschiedlich wahr und reagieren verschieden darauf. Renn unterscheidet hier drei Typen: Der erste Typ neigt generell dazu, anderen Personen zu vertrauen. Der zweite Typ dagegen glaubt niemandem, versucht, jedes Risiko zu vermeiden und am Status Quo festzuhalten – eine Denkweise, die sich rechtsextreme Parteien zu Nutzen machen. Der dritte Typ wiederum möchte sich ein Urteil anhand bestimmter – oft oberflächlicher – Merkmale der beteiligten Akteure bilden. Generell werden manche Risiken – wie die Folgen eines ungesunden Lebenswandels – verdrängt, andere über- oder unterschätzt. Zu den überschätzten Risiken gehören etwa künstliche Zusätze in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten, Kriminalität oder Arbeitsunfälle. Dagegen werden die Gefahren, die von Mikroorganismen, politischen Verwerfungen und verschiedenen miteinander verzahnten Krisen ausgehen, oft unterschätzt.

Komplex und konfliktträchtig

Letztere, die sogenannten systemischen Risiken, rückt Renn in den Fokus: Sie zeichnen sich durch ihre hohe Komplexität aus, machen vor Grenzen zwischen Ländern oder Fachgebieten nicht Halt und lösen Unsicherheit und Konflikte aus. Beispiele sind ökologische Gefahren wie der Klimawandel und der Rückgang der Biodiversität, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedrohungen wie Korruption, politische Polarisierung und wiederaufkeimender Imperialismus, sowie soziokulturelle Modernisierungsrisiken wie zunehmende soziale Ungleichheit oder die Bedrohung kultureller Identitäten.

Was aber sind Lösungen für diese gewaltigen Herausforderungen? Es müssten weniger Ressourcen verbraucht und die Ziele Effektivität, Effizienz, Resilienz und soziale Gerechtigkeit unter einen Hut gebracht werden, fordert Renn und erklärt: „Diese Zielkonflikte können wir nur lösen, wenn die verschiedenen Ministerien miteinander eine Lösung finden, die für niemanden optimal, aber für alle die Beste ist.“ Genau daran sei die Ampelkoalition gescheitert. Nicht zuletzt müsse man sich bewusst werden, dass Lebensqualität auch von kultureller Identität und der Mitgestaltung von Politik, Umwelt und Zukunft abhängt.

Vom Stammtisch zum Runden Tisch

Konkret bedeute das: Es müssten Formate geschaffen werden, um die Menschen über Wahrscheinlichkeitsrechnung aufzuklären, damit sie besser verstehen: „Nichts ist nur schwarz und weiß, gut oder schlecht, wahr oder falsch.“ Lernforen müssten eingerichtet werden, die es den Menschen ermöglichen, mit Unsicherheit und Konflikten produktiv umzugehen. Und vielleicht am wichtigsten: „Wir brauchen eine Politik- und Gesellschaftsberatung, die uns allen die Möglichkeit gibt, unsere Umwelt mitzugestalten. Wir müssen es schaffen, vom Stammtisch zum Runden Tisch zu kommen.“ Gerade mit solchen Formaten hat Renn gute Erfahrungen gemacht: „Wenn Menschen die Gelegenheit bekommen, an den Planungen der Umwelt teilzunehmen, ändern sie oft ihr Verhalten und versuchen, konstruktive Lösungen zu erarbeiten.“

Zur Aufzeichnung der Veranstaltung geht es hier. Bei der Bürger-Uni tritt als nächstes am 19. März 2025 Prof. Simone Linke auf. Sie referiert über "Die grüne Stadt der Zukunft".

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