Beim Glasfaserausbau wird die 10-Millionen-Marke überschritten. „Von Ende 2021 bis Ende Juni 2022 wird die Zahl der FTTB/H-Anschlüsse um 1,7 Millionen und damit um rund 20 Prozent auf 10,1 Millionen steigen. Der Ausbau der DOCSIS-3.1-Kabelanschlüsse konnte bereits weitgehend abgeschlossen werden“, so Telekommunikationsexperte Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, wissenschaftlicher Beirat der Unternehmensberatung DIALOG CONSULT und Inhaber des Lehrstuhls für TK-Wirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
„Die Zahlen belegen eine weiterhin sehr hohe Dynamik beim Netzausbau. Die Investoren haben den Glasfaserausbau in Deutschland für sich entdeckt“, sagt David Zimmer, Präsident des VATM. Die insgesamt mehr als 50 Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren in den Infrastrukturausbau fließen sollen, werden zu einem Großteil von den im VATM organisierten Unternehmen investiert. „Ein gutes Signal für die kleineren Kommunen ist die klare Fokussierung auf den ländlichen Raum“, unterstreicht Zimmer.
Die Zahl der verfügbaren Gigabit-Anschlüsse über Breitbandkabel steigt im ersten Halbjahr um 100.000 auf 25,7 Millionen Anschlüsse. Rund 5,9 Millionen der Glasfaseranschlüsse wurden und werden von den Wettbewerbern insgesamt bis Jahresmitte gebaut. Damit entfallen von den verfügbaren FTTB/H-Anschlüssen 60 Prozent auf die Wettbewerber. 3,2 Millionen der insgesamt 10,1 Millionen Glasfaseranschlüsse werden von den Endkunden auch genutzt. Während die Wettbewerbsunternehmen bei den Glasfaseranschlüssen eine Take-up-Rate von knapp 37 Prozent erreichen, liegt diese bei der Telekom bei 24 Prozent. Die Telekom wird bis Ende Juni schätzungsweise 4,2 Millionen FTTB/H-Anschlüsse gebaut haben. „Nachdem der Druck durch den Wettbewerb weiter gewachsen ist, setzt die Telekom nun deutlich auf den Bau von FTTB/H“, sagt Prof. Gerpott. „Dabei muss die Telekom aber fair `spielen´ und nicht auf Überbau oder strategische Mitverlegung setzen, die den Ausbau auf dem Land oft verzögert oder wirtschaftlich ganz unmöglich macht. Wir müssen miteinander und nicht gegeneinander bauen“, mahnt VATM-Präsident Zimmer: „Die ausbauenden Unternehmen des VATM bekennen sich zum Open Access. Nahezu wöchentlich ergeben sich neue Kooperationen zwischen den Mitgliedern des Verbandes. Eine bundesweit ausbauende Telekom muss ihren Teil zum schnellen Netzausbau beitragen und dort die Angebote nutzen, wo die offenen Glasfasernetze ihrer Wettbewerber sind.“
Beim Ausbau hat insbesondere der Glasfaseraufbau im ländlichen Raum zu einer Verbesserung der Versorgungsquote geführt – die Zahl der ausschließlich mit Glasfaser versorgten gigabitfähigen Haushalte ist um ein Fünftel auf 4,8 Millionen angestiegen. Gleichzeitig nimmt der Infrastrukturwettbewerb in dichter besiedelten und HFC-versorgten Gebieten zu. Die Zahl der Haushalte, die bei gigabitfähigen Anschlüssen zwischen HFC-Netzen und Glas auswählen können, ist auf 5,3 Millionen gewachsen. „Die Nachfrage nach hochbitratigen Anschlüssen wird weiter zunehmen, da immer mehr Anwendungen diese hohen Bandbreiten benötigen“, erläutert TK-Experte Prof. Gerpott. Bereits knapp 18 Prozent der Haushalte mit gigabitfähigen Anschlüssen nutzen auch einen Tarif mit einer Bandbreite von 1 Gbit/s oder mehr. Knapp die Hälfte der Haushalte mit gigabitfähigen Anschlüssen nutzen Bandbreiten oberhalb der mit VDSL-Technologien möglichen 250 Mbit/s. 1,7 Millionen gigabitfähige Anschlüsse werden Mitte 2022 von Geschäftskunden eingesetzt. Im Vergleich zur Nutzungsverteilung über alle Anschlüsse fällt die Bandbreitenintensivere Nutzung auf: 23 Prozent buchen Tarife mit mindestens 1 Gbit/s und zwei Drittel nutzen Bandbreiten oberhalb der VDSL-Bandbreiten. Das über Gigabit-Anschlüsse übertragene Datenvolumen beträgt 24,4 Milliarden GB. Das entspricht etwa der Hälfte des Volumens, das über alle Breitbandanschlüsse übertragen wird. Pro Anschluss und Monat werden 340 GB übertragen.
Zimmer: „Von der Ankündigung in die Umsetzung kommen“
„Alternative Anbieter und Kabelnetzbetreiber treiben seit Jahren den Ausbau der Gigabit-Netze. Das ist eine große Leistung, zumal sie in weiten Teilen ohne Förderung erfolgt und dies dank langfristiger Investitionspläne und einem planbareren Wettbewerbsumfeld viel stärker als vor Jahren – gerade im ländlichen Bereich. Die Telekom war bisher sehr zurückhaltend und nutzt bis heute weitestgehend die Vectoring-Technologie und die alten Kupfernetze, die eine enorme Rendite abwerfen, ohne hohe Investitionen im deutschen Markt tätigen zu müssen“, zieht VATM-Präsident Zimmer ein Fazit. Aufgrund des massiven Ausbaudrucks der Wettbewerber finde zurzeit aber offenkundig gerade ein Strategiewechsel bei der Telekom statt, um sich auch auf dem Glasfasernetz die Marktdominanz sichern zu können. „Die Investoren und ausbauenden Unternehmen scheuen dabei keinesfalls den Wettbewerb zur Telekom, aber zwei Dinge sind von der Politik und vom Regulierer zu beachten“, erläutert er.
Erstens müsse die Ausbaustrategie in Deutschland ein Miteinander sein und dürfe nicht von strategischem Überbau geprägt sein – wie bislang bei Vectoring und nun mit Glasfaser etwa im Wege der Mitverlegung. Im ländlichen Bereich gefährdet dies aus Sicht des VATM die Investitionen des erstausbauenden Unternehmens. Der Bürgermeister werde am Ende häufig feststellen, dass der Erstausbauer seine Ausbaupläne zurücknehmen müsse und die Telekom nicht selbst ausbauen werde, sondern im nächsten Ort den Überbau ankündige, warnt Zimmer. Das Scheitern der Ziele der Bundesregierung wäre die Folge.
Zweitens: Auch für die Nachfrager von Glasfaseranschlüssen, die Geschäfts- und Privatkunden bedienen, wird der faire Zugang zu den neuen Netzen so entscheidend sein wie auf der alten Kupfer-Infrastruktur. Dabei hat sich die Telekom von den großen Nachfragern den Glasfaserausbau zu 50 Prozent aus Überrenditen der Kupfer-Teilnehmeranschlussleitung (TAL/„letzte Meile“) bezahlen lassen, wie ein Gutachten des VATM belegt.** Dank ihres Endkundenbestandes und ihrer marktbeherrschenden Stellung wird es ihr leicht gelingen, ihre Stellung auch im FTTH-Bereich zu festigen und etwaige Verträge mit anderen Ausbauern und Nachfragern nicht auf Augenhöhe abzuschließen“, so der VATM-Präsident. „Daher müssen jetzt die Weichen zu Gunsten der Deutschen Wirtschaft und der Verbraucherinnen und Verbraucher klar auf Wettbewerb gestellt werden – vorher und eben nicht nachträglich, wenn der Wettbewerb schon Schaden genommen hat“, appelliert er.
Die Quintessenz: Die Wettbewerber bauen am absoluten Limit. Die Politik muss darauf achten, dass der Ausbau nicht gebremst wird und der Wettbewerb abgesichert wird. Mit Blick auf die Gigabitstrategie der Bundesregierung und einer zukünftigen Förderung wiederholt der VATM den Appell an die Politik, von der Ankündigung in die Umsetzung zu kommen. Das gilt für Digitalisierung, Entbürokratisierung und gezielte Förderung gleichermaßen. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Markterkundungsverfahren nicht so eingesetzt werden, dass Förderung gezielt erfolgt, sondern in einer Weise, die den eigenwirtschaftlichen schnellen Ausbau ohne jede Berechtigung aushebelt. Wir sind auf die konkreten Vorschläge der Bundesregierung gespannt. Das gleiche gilt für die Verordnung zum Recht auf Versorgung mit Telekommunikationsdiensten“, betont Zimmer.
Zu Recht hat die neue Bundesregierung für beim Internet unterversorgte Bürgerinnen und Bürger die Förderung der weißen Flecken priorisiert – denn damit erhalten die Menschen Gigabit. Der Streit um ein Recht der Bürger auf Megabit-Versorgung ist vor dem Hintergrund der bestehenden Förderung absurd – ebenso wie eine zu starke Beschränkung der Versorgung mit Funk oder Satellit. Denn dort – und wirklich nur dort –, wo Festnetz oder Mobilfunk nicht ausreichend leistungsfähig sind, ist nur der sehr leistungsstarke Satellit in der Lage, in den meisten Fällen sofort wirklich schnelle Abhilfe zu bringen. Und das, ohne darauf warten zu müssen, dass Bagger die Straßen zu tausenden einzelnen Häusern aufreißen. Der VATM-Präsident appelliert: „Es muss das getan werden, was den Bürgern wirklich hilft – auch für eine Übergangszeit, die wir noch für den schnellstmöglichen Glasfaserausbau benötigen.“
*Als verfügbar werden Anschlüsse eingestuft, bei denen das Kabel (Koax oder Glasfaser) (a) leicht erreichbar hausbezogen in der Straße liegt oder (b) bis zum Gebäudekeller oder (c) bis in die Wohnung reicht – unabhängig davon, ob Carrier für diesen Anschluss mit Endkunden einen Vertrag abgeschlossen haben (verfügbare aktive Anschlüsse) oder nicht (verfügbare nicht aktive Anschlüsse).
** Gutachten_Regulierung_Entgelte_Prof Winzer_VATM.pdf