Dr. Mohamed Benahmed, Leiter Sektion Netze vom BFE, stellte die aktuellen Gesetzesrevisionen, von der beschlossenen Energiestrategie, über die Strategie Stromnetze bis hin zum Entwurf der Revision des StromVG im Gesamtzusammenhang dar. Aus Sicht des BFE ist ein «Energy Only» Markt als Modell für die Schweiz weiterhin zielführend. Entsprechend wird auch die (längst im Gesetz vorgese-hene) vollständige Marktöffnung nun auch vorgeschlagen. Dabei stehen nicht primär Preisvorteile und die Kompatibilität zur EU, sondern die Versorgungssicherheit, die Wahlfreiheit der Kunden und die Marktintegration der Erneuerbaren mittels innovativer Geschäftsmodelle im Zentrum der Argumentation des Bundesrats. Anstelle von weiteren Regulierungsverschärfungen soll es mehr Markt richten. Ergänzt wird dieses Marktmodell mit einer strategischen Reserve als zusätzliche Versicherung für kritische Versorgungssituationen. Ziel der Revision StromVG ist daher die Stärkung der Marktmechanismen, und nicht primär die Verschärfung der Regulierung. Dennoch hält er aus Sicht des BFE fest, dass die Schweizer Netzkosten im internationalen Vergleich eher hoch seien und stärkere Effizienzanreize notwendig sind. Zu diesem Zweck wird die gesetzliche Grundlage für die Sunshine Regulierung geschaffen werden. Sollte sich diese nicht als genügend wirksam erweisen, soll der Bundesrat beauf-tragt werden, die Einführung einer Anreizregulierung vorzuschlagen. Weiter soll das Messwesen teil-liberalisiert werden, da in Bezug auf Grosskunden sowohl Preis- als auch Qualitätsprobleme bestehen. Alle Netzbetreiber müssten dabei separate Messtarife publizieren, welche von der ElCom getrennt vom Verteilnetz überprüft würden. Für die Verteilnetzbetreiber sieht Mohamed Benahmed vor diesem Hintergrund zahlreiche Herausforderungen, aber auch Chancen (z.B. Geschäftsmodelle im Bereich Flexibilität). Ein «Change» wird aber für viele Netzbetreiber notwendig sein.
Dr. Stefan Burri, Leiter Sektion Preise und Tarife des Fachsekretariats der ElCom, erläuterte den aktuellen Stand der Sunshine-Regulierung. Zentrales Ziel der ElCom ist dabei die Schaffung von mehr Transparenz unter Wahrung von Einfachheit (als klare Abgrenzung zum Benchmarking im Rahmen einer Anreizregulierung) und Mehrdimensionalität (Einbezug mehrerer Indikatoren wie z.B. der Qualität). Die Verteilnetzbetreiber sollen dadurch einen Anreiz erhalten, sich in Bezug auf ihre Netzkosten und -tarife, die Versorgungqualität und die Compliance zu verbessern. Als Hauptherausforderungen nannte Stefan Burri dabei die Sicherstellung der Aktualität, der Nachvollziehbarkeit für Dritte, der Richtigkeit der Datengrundlagen sowie der Veränderungen über die Zeit (z.B. aufgrund von Fusionen). Die bisherigen Ergebnisse zeigen bei den Netzkosten Klärungs- und Handlungsbedarf bei einzelnen, überdurchschnittlicher Netzbetreiber. Demgegenüber sind die Werte zur Versorgungsqualität im Schnitt aller Verteilnetzbetreiber, auch im internationalen Vergleich, top. Aus Sicht der ElCom sind zwar noch gewisse Kinderkrankheiten zu beheben, jedoch sind die Indikatoren robust und verlässlich. Die verbleibende Zeit bis zur «Scharfstellung» mit dem revidierten StromVG sollten die Verteilnetzbetreiber daher nutzen, aufgrund der bisherigen Ergebnisse ihre internen Schlüsse zu ziehen und allfällige Verbesserungsmassnahmen einzuleiten.
Dr. Markus Flatt, Partner von EVU Partners AG, präsentierte in seinem Referat Erkenntnisse aus der praktischen Umsetzung der erstmals für die Tarife 2019 geltenden, neuen Vorgaben aus der Energie-strategie 2050. Diese neuen Vorgaben wurden von den betroffenen Verteilnetzbetreibern unterschiedlich umgesetzt. Das Fachsekretariat der ElCom sah sich im September 2018 dann auch gezwungen, die Netzbetreiber auf allzu kreative, aber nicht rechtskonforme Umsetzungsvarianten, wie z.B. reine Flat-Rates, hinzuweisen. Dabei zeigte Markus Flatt basierend auf einer selektiven Erhebung, dass rund 50% der untersuchten Verteilnetzbetreiber die Tarifmodelle strukturell angepasst haben. Die Mehrheit davon hat sich dabei für die Einführung neuer Wahltarife entschieden, mehrheitlich für bestimmte Kundengruppen wie z.B. Wärmekunden. Anhand von einzelnen Beispielen zeigte Markus Flatt aber auch die sehr unterschiedlichen Ansätze – von «sehr einfach» bis zu «innovativ» ist die Bandbreite der beobachtbaren Netznutzugstarifmodelle gross. Dass die Tarifierungsvorgaben nun mit der Revision des StromVG bereits wieder zur Diskussion stehen, zeigt, dass das Thema für die Netzbetreiber mittelfristig relevant bleiben dürfte.
Leo Sasso, CEO und Founder der geoimpoact AG, stellte den Anwesenden die neue Plattform «Swiss Energy Planning» – eine Art «Google Maps für Energie» und deren mögliche Anwendung im Kontext von Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch vor. Ziel der Plattform ist die Ermöglichung einer einfachen, durchgängigen und vor allem kollaborativen Energieplanung. Dabei werden zahlreiche öffentlich-verfügbare Daten wie z.B. das Solarkataster, Grundbuchinformationen, Baugesuche oder Tarifsituationen geobasiert bereitgestellt und intuitiv zugänglich gemacht. Auf diesen Grundlagen kann die Energieplanung aus Sicht von Leo Sasso massgeblich vereinfacht und verbessert werden. Ein mögliches Anwendungsfeld ist dabei die Analyse von Potential für Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch. Dabei kann diese Analyse beispielsweise von Verteilnetzbetreibern in ihrem oder ausserhalb von ihrem Versorgungsgebiet im Sinne einer Potentialabklärung als Grundlage für ein neues Geschäftsmodell oder als Grundlage für die eigene Risikobeurteilung genutzt werden.
Dr. Michael Merz, Geschäftsführer der PONTON GmbH, stellte sich der Herausforderung, den Anwe-senden die Blockchain-Technologie und deren möglichen Anwendungsfälle in der Energiewirtschaft in wenigen Minuten zu erklären. Er stellte von Beginn an klar, dass die Blockchain nur eine von ver-schiedenen Technologien ist und nur unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen effektiv und effizient zur Anwendung gelangen kann. Er relativierte damit auch den zwischenzeitlichen «Hype» um die Blockchain und strich die Herausforderung der Wirtschaftlichkeit – gerade in der Energiewirtschaft mit vielfach sehr kleinen Einzeltransaktionen – heraus. Er präsentierte konkrete Anwendungsfälle und laufende Projekte wie «Enerchain» im Bereich Handel, «NEW 4.0» als Flexibilitätsmarkt in Nord-deutschland oder «Gridchain», ein Projekt mit dem Ziel der Synchronisation von Flexibilitätsmass-nahmen im Netz zwischen Übertragungsnetz-, Verteilnetzbetreibern und Flexibilitätsanbietern. Bei allen diesen Projekten zeigt sich, dass die Technologie nur eine Dimension ist. Vielfach scheitern die konkreten Geschäftsmodelle an der Wirtschaftlichkeit, am Kundenverhalten und/oder an den regulato-rischen Rahmenbedingungen.
Fabian Krek, Leiter Sales von Adaptricity AG, präsentierte die innovative Lösung von Adaptricity als Partner für das digitale Verteilnetz von der Netzplanung, über die Simulation von Prosumern bis hin zum (geplanten) Real-Time-Monitoring des Netzzustandes im Verteilnetz mittels bestehender Netzdaten (GIS), Sensoren und der Integration von Smart-Meter-Daten. Er ist überzeugt, dass mit den verfügbaren Daten, der weiteren Digitalisierung sowie intelligenten Lösungen die untersten Spannungsebenen, welche heute eine «Black Box» darstellen, transparent gemacht werden können. Als Mittel dazu sieht Adapricity ihre Lösung von GIS-basierten, rechenfähigen Netzmodellen. Der Mehrwert entsteht dabei durch die Verknüpfung von GIS-Daten mit weiteren Daten sowie deren Verarbeitung mit gängigen Netzanalyseverfahren. Ziel ist letztlich die Erhöhung der Kosteneffizienz im Bau und Betrieb der Verteilnetze (Kapital- und Betriebskosten) einerseits und in der Netzplanung (Betriebskosten) andererseits. Als konkretes Beispiel zeigte Fabian Krek das Netz-Monitoring aus dem Pilot-Betrieb im Verteilnetz der Technischen Betriebs Glarus Nord.
Ulrich Rosen, Partner von B E T Aachen, ging in seinem Referat auf die Wechselwirkung zwischen Verteilnetzen und Geschäftsmodellen der Verteilnetzbetreiber ein. Dabei zeigte er exemplarisch ein Ergebnis aus dem Projekt «Digitalisierung der Energiewende: Barometer und Topthemen» im Auftrag des BMWi aus Deutschland auf. Hier werden mögliche künftige oder bestehende Geschäftsmodelle in konkreten Use Cases strukturiert und letztere in konkreten Verteilnetzsituationen und auf der Basis realer Lastgänge simuliert. Dabei hat sich im Kontext von Netzflexibilität bzw. der Tarifierung das Modell der «bedingten Bestellleistung» als wirksam und umsetzbar herausgestellt. Dabei werden die klassischen Verbraucher beim Kunden als unflexible Lasten behandelt, wofür der Kunde einen fixen Preis (Leistungspreis) bezahlt. Für seine flexiblen Lasten (z.B. eMobil) muss der Kunde darüber hinaus weitere Leistung bestellen, welche «unbedingt» und damit teurer oder «bedingt» und damit vergünstigt angeboten wird. Bei bedingter Leistung ist ein Eingriff des Verteilnetzbetreibers im Fall von Netzengpässen oder Lastspitzen im Netz möglich. Wird die bestellte Leistung überschritten, fällt eine Pönale an. Dabei beurteilt Ulrich Rosen insbesondere auch den effizienten und effektiven Einsatz der Kommunikations- und Steuertechnik als zentrale Herausforderung.
In der abschliessenden Podiumsdiskussion diskutierten Dr. Mohamed Benahmed, Leiter Sektion Netze vom BFE, Dr. Andreas Beer, Leiter Asset Management Netz und Versorgung der Repower AG und Andreas Hirt, Leiter Bau & Netzservices von Energie Service Biel/Bienne über die Zukunft für Schweizer Verteilnetzbetreiber. Dr. Markus Flatt stellte den Gesprächsteilnehmern die Frage, ob sie die Zukunft der Verteilnetzbetreiber nicht als düster beurteilen, angesichts von sinkenden Ausspeisemengen (Stichwort Eigenverbrauch / Entsolidarisierung), steigenden Kosten (etwa durch Smart-Meter-Rollout oder Verkabelungsauflagen), wachsender Komplexität (zum Beispiel aufgrund der Flexibilitätsvorgaben) und weiteren Regulierungsverschärfungen (wie der Sunshine- oder einer späteren Anreizregulierung). Die Teilnehmer beurteilten diese Herausforderungen zwar als hoch, jedoch die Zukunft für Netzbetreiber nicht generell als düster. Hingegen mahnten insbesondere die Vertreter der Netzbetreiber zur Vorsicht mit weiteren Verschärfungen im Rahmen der Revision StromVG, welche den Spielraum für Netzbetreiber zusätzlich beschränken und die Komplexität im Markt enorm erhöhen würden. So sei es etwa nicht so, dass bisher im Netz keine Lastoptimierung betrieben und nur Kupfer verbaut werde, wie dies aktuell aufgrund der Diskussionen rund um Flexibilitäten manchmal scheint. Insbesondere wurde dabei die geplante Teilliberalisierung des Messwesens als unverhältnismässig beurteilt. Als Vertreter des BFE oblag es Mohamed Benahmed die geplante Gesetzesrevision etwas ins Licht zu rücken und einzelne Massnahmen nochmals zu begründen. Dabei wurde klar, dass die Interessen, welche auf das künftige Marktmodell und die Weiterentwicklung der Regulierung einwirken, weit über die Strombranche hinausgehen und entsprechende Interessenabwägungen, z.B. in Bezug auf Wahlfreiheit versus Einfachheit, notwendig sind. Diese Interessenabwägung vorzunehmen ist letztlich Aufgabe der Politik. Einig war man sich auf dem Podium, dass die bisherigen, gerade in der Schweiz ausgeprägt kleinräumigen Strukturen aufgrund der künftigen Anforderungen unter Druck kommen werden. Diesen Herausforderungen sollte man sich als Verteilnetzbetreiber stellen.
Dieser Rückblick wurde vom Tagungsmoderator Dr. Markus Flatt, Partner bei EVU Partners AG verfasst. Markus Flatt hat den hochkarätigen Beiträgen und Diskussionsrunden einen optimalen Rahmen gegeben. Nicht zuletzt die produktiven Diskussionen und das ausgezeichnete Networking sowie die sehr gute Stimmung aller Teilnehmenden und Referenten rundeten den Erfolg der Tagung ab.
Das nächste Verteilnetzforum findet am 13. November 2019 im Marriott Hotel Zürich statt. Informationen zu Agenda, Referenten und Anmeldung finden Sie unter www.verteilnetzforum.ch.