Arbeitsabläufe ändern, Strukturen anpassen, die gesamte Steuerungs-Software in der Lagerlogistik umstellen und gleichzeitig neue Bediengeräte einführen: Projekte mit derartigen Auswirkungen bergen hohe Risiken und treiben den Verantwortlichen Schweissperlen auf die Stirn.
Anders bei Ritzenhoff & Breker: Die in Bad Driburg beheimatete Firma befindet sich seit Juli 2006 inmitten einer solchen Umstellungsphase. Doch von Hektik ist bei dem auf Wohnaccessoires und Haushaltswaren spezialisierten Handelsunternehmen (s. Kasten) nichts zu spüren – trotz drastischer Eingriffe. Sämtliche Lagerplätze der rund 4.500 Artikel erhielten vor kurzem eine neue Adresse, etwa 50 Mitarbeiter in der Kommissionierung arbeiten seit wenigen Monaten mit neuen Hand- und Staplerterminals. Viele der gewohnten Betriebsabläufe wurden geändert und im Hintergrund arbeitet eine völlig neue Lagerverwaltungs-Software (LVS) Pramag 3000 der Wanko Informationslogistik GmbH.
„Die erste Phase haben wir gut überstanden. Vom Papier sind wir so gut wie weg“, attestiert Rolf Staffelde, Logistik- und Projektleiter bei Ritzenhoff & Breker. Seine Gelassenheit hängt mit der besonderen Einführungsmethode zusammen, die sein Unternehmen im Zuge der Reorganisation der Lagerlogistik anwendet. Hintergrund ist ein völlig parallel zur bestehenden Ablauforganisation durchführbares Umstellen von der bisherigen Lösung auf das Wanko-System. „Dies wurde möglich, indem unser früherer Ist–Ablauf zunächst im Soll–System von Wanko abgebildet werden konnte. Dadurch können wir die Umstellung in beliebig großen Schritten und Zeitfolgen selbst steuern“, erläutert Stefan Breker, Geschäftsführer von Ritzenhoff & Breker.
Für die Mitarbeiter im Kommissionierbereich bedeutete das, das sie in den ersten Tagen der Umstellung ihre Aufträge noch in gewohnter Form als Papierliste bekamen, aber gleichzeitig schon mit den neuen Handterminals (MDE) arbeiteten. Dadurch lernten die Kommissionierer bereits in der ersten Umstellungsphase den Umgang mit dem neuen LVS. Sie werden durch die bisherigen und gut bekannten Abläufe unterstützt und lernen im praktischen Ablauf mit dem System zu kommunizieren. Dabei kann sich jeder Mitarbeiter genügend Zeit nehmen.
Rolf Staffelde ging in dieser Phase noch einen Schritt weiter: „Am ersten Tag der Umstellung habe ich nur einen meiner Mitarbeiter mit der neuen Software ausgestattet. Ein paar Tage später folgte der zweite, dann der dritte. Erst nach sechs Wochen waren alle Kommissionierer in das System involviert“, berichtet der Logistik leiter. Inzwischen haben sich die Kollegen an die Stapler-Terminals von DaTec KSC und die LXE-Hand-Terminalsgewöhnt und nutzen die damit verbundenen Vorteile.
So kann mit den Terminals jetzt direkt am Lagerplatz Nachschub angefordert werden. Der Befehl wird per Datenfunk direkt aus dem MDE an den Lagerleitstand gesendet - das zentrale Steuerungsinstrument von Pramag. Der Lagerleitstand zeigt zum Beispiel den Kommissionierungs-Fortschritt jeder einzelnen Ladung an, unterstützt die Steuerung des Personaleinsatzes oder wertet die Kommissionierleistung aus.
Diese steigt allein dadurch, das durch das neue System Wartezeiten an leeren Lagerplätzen vermieden werden. „Früher verlief das Anfordern von Nachschub immer manuell und hat deshalb nur selten funktioniert. Der Aufwand für die Mitarbeiter war zu hoch“, bekennt Staffelde.
Ein weiterer Vorteil ist, dass die Mitarbeiter jetzt eine feste und optimierte Reihenfolge für das Abarbeiten der Kommissionieraufträge erhalten. Früher erfolgte diese Planung manuell vor Ort durch jeden einzelnen Mitarbeiter. Dabei mussten zum Beispiel die schweren Sachen nach unten und die leichten nach oben sortiert werden. Ein Vorgang, der angesichts der rund 1.500 neuen Artikel pro Jahr nicht immer einfach war und Erfahrung erforderte.
Nach der Eingewöhnung an die Handterminals erhielten die Kommissionierer im nächsten Schritt nur noch einen Teil der Auftragsinformationen in ausgedruckter Form. Um auch in dieser Phase den Übergang zu erleichtern, verzichtet Staffelde aber noch nicht völlig auf das Papier.
„Das Papier gibt den Mitarbeitern ein Gefühl der Sicherheit“, erklärt Dr. Doris Blutner, die das Logistik-Projekt als wissenschaftliche Beraterin begleitet. Die Mitarbeiterin der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Dortmund hat sich auf das Fachgebiet Techniksoziologie spezialisiert. Besonders intensiv hat sich Blutner mit der „Mensch-Maschine-Schnittstelle“ auseinandergesetzt (s. Kommentar). „Ein Behutsames Einführen neuer Technologie, das die menschlichen Bedürfnisse berücksichtigt, ist umso wichtiger, wenn der unmittelbare Nutzen für den Anwender nicht sofort erkennbar ist“, meint Blutner.
Die einzelnen Projektphasen unterteilte Ritzenhoff & Breker dabei nicht nur nach eingesetzten Medien und der Zahl der einbezogenen Mitarbeiter, sondern auch nach der Art der Aufträge. Die etwas aufwändigeren Kommissionieraufträge, bei denen im Kundenauftrag Preisauszeichnung en vorgenommen werden müssen, verliefen zunächst nach dem alten Schema. Bei Ritzenhoff & Breker werden 30 Prozent aller Auftragspositionen kundenindividuell mit Preisen ausgezeichnet. „Diesen sensiblen Bereich haben wir erst dann umgestellt, nachdem unsere Mitarbeiter genügend Routine mit den neuen Abläufen gewonnen hatten“, so Breker.
Noch vor diesem Schritt stellte das Unternehmen die Bezeichnung sämtlicher Lagerplätze um. Dies war notwendig geworden, nachdem sich durch frühere An- und Umbauten Brüche in der Adressierung ergeben hatten. „Die Regalgänge mit den Nummern 10 und 11 standen zum Beispiel nicht mehr nebeneinander“, verdeutlicht Staffelde, dessen Mitarbeiter sich jedoch längst an das alte System gewöhnt hatten. Auch hier half das Wanko-System, die Umstellung reibungslos zu realisieren. „Wir konnten zunächst die alten Bezeichnungen in das neue System übernehmen“, so Staffelde. Die Software verknüpfte die tatsächlichen Koordinaten sowohl mit den alten, als auch mit den neuen Lagerplatzbezeichnungen. Dadurch konnte Pramag in der Übergangzeit jeden Kommissionierauftrag mit zwei Adressen versehen.
Insgesamt können Breker und Staffelde das neue LVS langsam und schrittweise „hochfahren“ - ähnlich wie bei einer Produktionsanlage. Die einzelnen Arbeitsschritte werden währenddessen parallel zum Soll–Ablauf mitgezogen. Im letzten Schritt erfolgt die Inventur der Bestände in der Kommissionierzone und die Einführung des LVS ist abgeschlossen. „Den sonst üblichen `Big Bang´ bei der Umstellung auf neue Systeme konnten wir somit vermeiden“, so Breker.
Einmal eingeführt, übernimmt Pramag die komplette, prozessorientierte Steuerung sämtlicher innerbetrieblicher Warentransporte. Vom Wareneingang, bis zur verladegerecht bereitgestellten Ware werden alle Transporte und Tätigkeiten prioritätsbezogen gesteuert und die Arbeitsbereiche werden - optimiert getaktet - mit Arbeitsaufträgen versorgt. Im Laufe dieses Jahres soll die Umstellungsphase komplett abgeschlossen werden. Einen exakten Zeitplan für das weitere Vorgehen hat Staffelde nicht. „Wir machen auch in Zukunft alles Schritt für Schritt.“