Lithium ist heutzutage in aller Munde.
Doch eignen sich Lithium-Energiespeicher auch in Verbindung mit unterbrechungsfreien Stromversorgungen? Laufen sie eventuell sogar den Blei-Akkus den Rang ab?
Stromversorgungs-Experte Dietmar Ruscher, Prokurist bei der Wöhrle Stromversorgungssysteme GmbH, schätzt die Lage ein:
Herr Ruscher, Lithium-Ionen Energiespeicher überrollen den Markt. War es das jetzt mit dem Bleiakku?
Ruscher: Nun ja, Totgesagte leben am längsten, wie wir wissen. Aber ganz im Ernst, die mittlerweile breite Auswahl von Li-Ion Batterien für industrielle Anwendungen, wie eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, ist zwar erfreulich, aber noch lange kein Abgesang auf den Bleiakku. Die beiden Technologien überlappen im Moment nur in Teilbereichen, nach wie vor muss man die Anwendungsfälle genau betrachten.
Aber hat die neue Generation von Li-Ion Akkus nicht deutliche Vorteile hinsichtlich Energiedichte, Lebensdauer und Temperaturstabilität?
Ruscher: Doch, das stimmt, wenn man die Werte an sich nimmt. Verstehen Sie mich nicht falsch, moderne Li-Ion Energiespeicher geben dem Bereich unterbrechungsfreie Stromversorgungen dringend benötigte Innovationsimpulse. Wir wären ein schlechter Hersteller, wenn wir diese Technologie nicht genau bewerten und in aktuellen Produkten verbauen würden. Wenn sie die richtige Anwendung haben, sind die Eckdaten von Li-Ion Akkus nicht zu schlagen.
Was könnte so eine Anwendung sein?
Ruscher: Es geht um den Anwendungsfall, nicht nur um die Anwendung an sich. Eine USV in einem Rechenzentrum lässt sich je nach Anwendungsfall optimal mit Blei oder eben mit Li-Ion betreiben. Ein RZ kann beispielsweise in einem sehr beengten Gebäude aufgebaut sein, wo jeder Quadratmeter Platz sehr teuer ist. Dort hat Li-Ion Vorteile, weil die Energiedichte höher ist. Zudem benötigt Li-Ion wegen der nicht vorhandenen Ausgasung keinen eigenen belüfteten Batterieraum. Auch das spart Platz und damit Kosten. Spielt der Platzbedarf hingegen keine Rolle, sind Bleiakkus im Rechenzentrum häufig die bessere Wahl.
Gibt es weitere Anwendungsfälle, in denen Li-Ion die Nase vorn hat?
Ruscher: Ich denke, neben der höheren Energiedichte ist die Zyklenfestigkeit der zweite wesentliche Pluspunkt von Li-Ion. Sie liegt mindestens um den Faktor 10 über der eines Standard-Bleiakkus. Das ist immer dann wichtig, wenn die Spannung häufiger aus dem Toleranzbereich fällt und die USV puffern muss. Solche Situationen finden Sie in Ländern mit weniger ausgereiften Stromnetzen. Oder wenn in einer Region sehr viel gebaut und die Netzversorgung häufig abgestellt wird. Auch der gesamte Bereich Home-Grid stellt hohe Anforderungen an die Zyklenfestigkeit. Dort wird ein Akku täglich be- und entladen.
Es gibt aber auch spezielle Industrieanwendungen, die mit Li-Ion deutlich besser und effizienter betreibbar sind als mit Blei. Wir bieten beispielsweise USV-Systeme für den Einsatz zum Peak-Shaving an. Dabei werden Lastspitzen abgefangen, die sonst zu erhöhten Bereitstellungsentgelten des Stromversorgers führen würden. Solche Spitzen fallen in der Regel täglich an, ein Bleiakku erreicht damit sehr bald das Ende seiner Lebensdauer. Li-Ion Akkus hingegen halten deutlich länger, verursachen dadurch weniger Wartungs- und, auf die Gesamtlaufzeit gesehen, weniger Gesamtkosten.
Stichwort Kosten. Im Vergleich mit Bleiakkus wurden immer die höheren Kosten von Li-Ion genannt. Nähern sich die beiden Technologien in dieser Hinsicht allmählich an?
Ruscher: Also, der Kaufpreis eines Li-Ion Akkus ist höher als der eines Bleiakkus, und das wird auch auf absehbare Zeit so bleiben. Aber das heißt nicht, dass die resultierende Lösung teurer ist, schon gar nicht auf die Lebensdauer gesehen. Wie schon angesprochen, ist die Lebensdauer der Li-Ion Akkus deutlich höher als die von vergleichbaren Bleiakkus. Selbst wenn man Reinblei-Akkus mit theoretisch 15 Jahren Lebensdauer nutzt, ist die erzielbare Lebensdauer deutlich niedriger. Und das gilt für optimale Bedingungen hinsichtlich Temperatur und Ladezyklen. Ein Li-Ion Akku ist bei den Ansprüchen an die Temperatur moderater, die Folgen für die Lebensdauer sind deutlich geringer. Es verändert die Kostenstruktur der Lösung schon deutlich, wenn die Energiespeicher länger optimal nutzbar bleiben.
Dann ist die Kostenbetrachtung nur auf die Gesamtlebensdauer der Lösung sinnvoll?
Ruscher: Ja, absolut. Und sie dürfen auch nicht vergessen, dass in einem Li-Ion Akkumulator auch immer ein Batterie-Managementsystem eingebaut ist. Das geht gar nicht anders, weil die Zellen viel empfindlicher auf Überladung reagieren. Mit dem BMS wird sichergestellt, dass zu jeder Zeit optimale Bedingungen für die Zelle herrschen. Drüber hinaus liefert das BMS eine Vielzahl von sehr wichtigen Daten, um beispielsweise proaktiv einzugreifen, wenn sich Parameter verschlechtern. Für Bleiakkus gibt es zwar auch BMS, die werden aber fast nie verbaut. Damit ist ein Vergleich der beiden Akku-Technologien auf Ebene der einzelnen Zellen in punkto Kosten ohnehin nicht zielführend.
Sie hatten es gerade angesprochen, das Thema Sicherheit spielt bei Li-Ion Akkus eine ganz andere Rolle als bei Blei. Das Gefahrenpotential gilt als deutlich höher. Ist das immer noch so?
Ruscher: Ja und Nein. Zunächst müssen wir die Lithium-Ionen-Technologie differenzierter betrachten. Wir haben bisher immer von Li-Ion gesprochen, ohne auf die tatsächlich verwendeten Materialien einzugehen. Häufig wird Lithium mit Mangan als Kathode kombiniert. Das ergibt relativ leichte Zellen, die auch im Automobilbereich verwendet werden. Deren Nachteil ist aber eine heftige Reaktion bei Beschädigung. Eisenphosphat hat dagegen sehr ähnliche Speichereigenschaften bei etwas höherem Gewicht, reagiert bei Beschädigungen aber viel weniger aggressiv. Auch wenn ein Nageltest nicht die absolute Aussagekraft hat, zeigt er doch, wie unterschiedlich die beiden Material-Kombos reagieren.
Beim Nageltest wird die Zellenwand mit einem Stahlnagel durchschlagen?
Ruscher: Korrekt. Und im Gegensatz zu den Lithium-Mangan-Zellen, die beim Nageltest praktisch immer mit Qualm und Flammen reagieren, treten bei Lithium-Eisenphosphat nur Gase aus.
Heißt das, dass es bald eine VDS-Zulassung für Lithium-Ionen-Zellen geben wird?
Ruscher: Ich bin absolut der Meinung, dass die Hersteller von Li-Ion Blöcken eine solche Zertifizierung anstreben sollten. Aber meiner Ansicht nach sollte man nicht so bald mit einer Zulassung rechnen, der Aufwand dafür ist sehr hoch.
Auch wenn die Lebensdauer der Li-Ion Zellen sehr hoch ist, verglichen mit einem Blei-Akku, irgendwann erreicht sie doch das Ende ihrer Einsatzdauer. Und dann sieht es, wie viele Kritiker sagen, schlecht aus, wenn es um das Recycling geht.
Ruscher: Im Moment ist das Recycling von Bleiakkus viel einfacher, ganz klar. Das liegt aber daran, dass wir viele Jahre Erfahrung damit haben, Bleiakkus werden seit einem halben Jahrhundert wiederaufbereitet. Und selbst bei Blei hat es lange gedauert, bis ein wirtschaftlich sinnvolles Recyclingmodell entstand. Bei Li-Ion fehlen die Erfahrung, die Infrastruktur und das komplette Ökosystem, das entsteht gerade. Aber klar ist auch: Die Li-Ion Zellen sind so wertvoll, wir können es uns gar nicht leisten, auf deren Recycling zu verzichten. Darum wird es auch funktionierende Recyclingmodelle geben.
Sie zeichnen ein gemischtes Bild der Li-Ion Technologie. Technisch überlegen, aber nicht immer, teurer, aber nicht auf die Gesamtlaufzeit gesehen, sicher, wenn der richtige Materialmix genutzt wird. Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Zukunft der Energiespeicher konkret aus?
Ruscher: Ich würde eher den Begriff „anwendungsbezogen“ anstelle von „gemischt“ verwenden. Wenn sie eine passende Anwendung haben, ist Li-Ion die perfekte Technologie, auch heute schon. Li-Ion ist marktreif und verfügbar, nicht nur wir bieten Lösungen mit Li-Ion an, andere Hersteller tun es auch. Um herauszufinden, ob Blei oder Li-Ion der richtige Energiespeicher ist, müssen Sie Ihren Einsatzfall genau kennen und analysieren, am besten mit einem Partner zusammen, der genau weiß, was mit welchem Aufwand machbar ist. Sie werden überrascht sein, wie oft die Wirtschaftlichkeit für Lithium-Ionen Technologie spricht.
Über Dietmar Ruscher
Dietmar Ruscher, Prokurist bei der Wöhrle Stromversorgungssysteme GmbH, ist seit über 30 Jahren bei Wöhrle tätig und hatte hier bis April 2020 die Position als technischer Leiter inne. Nachdem er diese Position an seinen Nachfolger Herrn Markus Steiner übergeben hat, steht er Wöhrle und den Kunden mit seiner jahrelangen Erfahrung und Expertise weiterhin mit Rat und Tat zur Seite.