"Vor dem ersten Treffen war nicht klar, ob aus den gemeinsamen Ideen ein tragfähiges Projekt werden kann", erinnert sich Matthias Weisskopf, Geschäftsbereichsleiter Keramik bei der Oechsler AG. Schließlich war die Herausforderung sehr anspruchsvoll: für neue Design- und Sichtteile in den Premiumfahrzeugen eines süddeutschen Automobilherstellers soll der in diesem Segment neue Werkstoff, Keramik, mit einem neuen, automatisierten Polierverfahren auf Hochglanz gebracht werden. Die Automatisierung ist notwendig, weil für den Einsatz im Automotivebereich viel höhere Stückzahlen an glänzenden Keramikteilen gefordert sind. "Mit den Kleinserien, wie man sie beispielsweise für die Verschalung teurer Edelhandys kennt, hat das nichts mehr zu tun", erklärt Weisskopf. Als Spezialisten in ihrem jeweiligen Fachgebiet haben sich die Oechsler AG und die Zeltwanger Automation GmbH ideal ergänzt, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu lösen. Und weil auch die menschliche Seite passt, ergeben sich nun glänzende Aussichten.
Maschine simuliert das Polieren von Hand
Geräuschlos und gleichmäßig gleitet eine der beiden Beladeschubladen in die Poliermaschine. Griffbereit liegen anschließend bis zu 13 Keramik-Rohteile positionsgenau für den Roboter zur Entnahme bereit. Als der 6-Achs-Knickarm-Roboter mit einem eigens entwickelten Greifer zulangt, verwirrt zunächst das Bewegungsmuster. Erst beim zweiten Blick wird dem Betrachter bewusst, dass der "Stäubli" sich "verkehrt herum" bewegt. Zeltwanger hat ihn kopfüber an der oberen Verstrebung der Poliermaschine befestigt. "Dies ermöglicht eine kleinere Zelle und verhindert die Verschleppung von Emulsion. Außerdem macht dies die Konstruktion stabiler und sorgt für weniger Vibrationen", versichert Entwickler Felix Bob. In flüssigen Bewegungen wird das Keramikteil, das die Experten von Oechsler zu einer komplexen, dreidimensionalen Freiform gebacken haben, wie von Geisterhand zu den einzelnen Polierstationen geführt. Dort erhalten sie ihre endgültige, hochglänzende Oberfläche. Bis zu fünf Polierstationen haben im Arbeitsraum der Maschine Platz. Sie können je nach benötigten Prozessschritten bestückt und aktiviert werden. Der Roboterarm führt das Werkstück dank einer schnellen und intelligenten Steuerung stets im gewünschten Winkel an das Poierwerkzeug. Die völlig unregelmäßigen Freiformen des Werkstücks werden so in allen Winkeln zum Glänzen gebracht.
Beim Bearbeiten des Keramikteils stutzt das Auge des Betrachters jedoch erneut, denn die Polierstationen geben nach, wenn der Roboter das Werkstück gegen die Polierscheibe drückt. "Die Polierwerkzeuge regeln die Widerstandskraft gegen das angedrückte Bauteil innerhalb eines Bearbeitungsfensters selbsttätig und geben entsprechend nach", bestätigt Bob die Absicht dieses Vorgangs. Hat die letzte Polierstation innerhalb des Prozesses ihre Arbeit getan, wird das Bauteil in einem Ultraschall-Reinigungsbad von den Resten der Polieremulsion gereinigt. Anschließend wird es in einem Luftstrom getrocknet und zuletzt auf die passende Aufnahme der Fertigteil-Entnahmeschubladen abgelegt. Bei einer letzten Durchfahrt durch die Gabellichtschranke stellt der "Stäubli" fest, ob wirklich kein Bauteil mehr am Greifer sitzt. Mit der Entnahme des nächsten Rohteils beginnt der mannlos arbeitende, vollautomatische Polierprozess erneut.
Bauteilverlust oder -bruch würde sofort bemerkt werden
So reibungslos lief der Prozess zu Beginn nicht ab. Bob erzählt von den Anfängen: "Der Roboter hat das Teil während des Schwenkens immer wieder einmal verloren." Grund war der Greifprozess. Es gab keinen passenden Greifer, der das Teil sicher fassen und durch die Bearbeitungsschritte führen konnte. "Als auch der Marktführer für Greifsysteme nicht weiterhelfen konnte, haben wir den Greifer eben selbst gebaut", berichtet Bernd Kohler, Montageleiter von Zeltwanger. Zusätzlich lieferte Oechsler die Datensätze der geometrischen Aufnahmeform, auf der die Keramikblende später im Endprodukt montiert wird. Franz Plaßwich, Geschäftsführer der Zeltwanger Automation findet dafür große Anerkennung: "Das war ein Zeichen hoher Wertschätzung von Oechsler und Vertrauen dafür, dass wir den Prozess hinbekommen." Mit dem Greifsystem und der passenden Aufnahme arbeitet der Roboter verlier- und prozesssicher sowie lagen- und wiederholgenau.
Nach der Entnahme des Bauteils von der Beladeschublade wird zunächst eine Präsenzprüfung durchgeführt. Hierzu fährt der Roboterarm in eine Lichtschrankengabel. Die prüft, ob ein Teil anliegt. Im Aufnahmesystem sind zwei Sensoren integriert, die die Präsenz des Teils während der kompletten Bewegung und Bearbeitung im mit Glastüren gekapselten Arbeitsraum abfragen. Die Positionierung der Sensoren in der Aufnahme ist so gewählt, dass diese auch einen Bruch des Werkstückes bemerken und den Vorgang unmittelbar stoppen würden.
Oberflächenqualität von höchster Güte
Im Ergebnis entspricht die Güte der Keramikoberfläche den hohen Anforderungen sowohl von Oechsler als auch des Endkunden. Obwohl es aufgrund fehlender Messmöglichkeiten an den unregelmäßigen krummen und schiefen Flächen keine Aussage zum RA-Wert der Oberflächen geben kann, sieht und spürt man sofort deren Güte und die Qualität der Bearbeitung. Optisch und haptisch zeigt sich die angepeilte Premiumqualität. Als Innenraum-Design-Sicht- und Funktionsteil in einem PKW hat Keramik aber auch ein erstklassiges thermisches Verhalten und ist praktisch neutral gegenüber der Umgebungstemperatur. Die Oberfläche bleibt maßhaltig und lässt sich sowohl bei hohen Plus- wie auch bei tiefen Minusgraden gefahrlos anfassen.
Bis das Teil so weit ist, bringt der Mittelständler Oechsler seine hohe Kompetenz in der Herstellung ein. Das im Pulverspritzgussverfahren hergestellte Keramikteil hat als Grünling noch rund 30 % Übermaß, bevor der hochgefüllte Kunststoff herausgelöst wird. Nach einem weiteren Prozessschritt ist das Teil bereit für den Schleif- und Polierprozess, der Endmaß und Oberflächengüte sicherstellt. Zeltwanger hat hier seine Automatisierungskompetenz und seine Erfahrung beim Hochglanzpolieren von keramischen Kniegelenken eingebracht.
Ergebnis war nicht planbar
Oechsler ist bekannt für eine innovative und zuverlässige Arbeitsweise. Dabei begibt sich der Mittelständler schon ab und zu auf unbekanntes Terrain und betritt völliges Neuland. "Mit dem Auftrag hat Oechsler einen gewagten Schritt in Richtung der neuen Technologie des Keramikspritzgusses gemacht", erzählt Weisskopf. Dass die glänzenden Keramikoberflächen nun auch für glänzende Aussichten hinsichtlich Folgeaufträge sorgen ist letztendlich das Ergebnis einer gelungenen Zusammenarbeit zweier Spezialisten, deren Ergebnis so von Anfang an nicht planbar war.
Firmeninfo zu Oechsler AG
Kunststoffexperten in Entwicklung und Herstellung
Die 1864 von Matthias Oechsler gegründete und bis heute in Ansbach/Mittelfranken ansässige Oechsler AG ist ein führendes Unternehmen der Kunststofftechnik und beliefert weltweit Kunden in den Branchen Automobil-, Medizin-, Kommunikations- und Industrietechnik. Neben der Fertigung von Präzisions-Kunststoffteilen und Baugruppen bietet die Oechsler AG auch Leistungen in Produktentwicklung, Prototyping, Produktmanagement sowie im hoch spezialisierten Werkzeugbau. Zu den Kunden der Gesellschaft gehören internationale Industrie- und Pharmakonzerne sowie führende Automobilzulieferer. www.oechsler.com