„Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Rheinland-Pfalz zu einem führenden Standort in der Biotechnologie zu entwickeln und in diesem Zusammenhang die lebenswissenschaftliche Forschung zu stärken. Dabei soll das Momentum der weltweiten Sichtbarkeit des Wissenschafts- und Biotechnologiestandortes Mainz insbesondere durch die Erfolge der Firma BioNTech genutzt werden. Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für innovative Anwendungen der Biotechnologie sind die Hochschulen und deren Einrichtungen, die für die Ausbildung der hochqualifizierten Fachkräfte von morgen einstehen und zugleich Ideenschmieden für neue innovative Forschungsansätze sind“, sagte Wissenschaftsminister Clemens Hoch bei seinem Besuch im Rahmen seiner Sommerreise. Erfolgreiche Forschung brauche ein entsprechendes Forschungsumfeld und einen langen Atem, der sich am Ende aber bezahlt mache, so der Minister.
Und mit diesem Thema startete dann auch die Führung durch die Labors in Pirmasens. Prof. Dr. Peter Groß, Prodekan des Fachbereichs für Angewandte Logistik und Polymerwissenschaften, zeigte einen neuen Chromatographen. Biopolymere, wie Proteine oder mRNA, sind die biotechnologischen Blockbuster unserer Zeit. Ihre Herstellung, Charakterisierung und Stabilität ist allerdings oft komplex, zeitaufwändig und schwierig. Eine grundlegende Technik stellt die Chromatographie, besonders in ihrer modernen Form der UPLC dar. Der Begriff UPLC steht für Ultra-Performance-Liquid-Chromatography. UPLC stellt die letzte Evolutionsstufe dieser technologischen Entwicklung dar. Ein solche Anlage wurde an der Hochschule Kaiserslautern neu beschafft und im Rahmen des Ministerbesuchs vorgestellt. Der Chromatograph kann Biopolymere hochauflösend voneinander trennen und untersuchen, beispielsweise zur Entlarvung schädlicher Verunreinigungen. Die Forscher in Pirmasens arbeiten seit einigen Jahren an neuen antiviralen Wirkstoffen und anderen Proteinprodukten. Dabei gibt es Kooperationen mit akademischen und industriellen Partnern. Auch hier wird die neue UPLC-Anlage gewinnbringend eingesetzt.
Schneller, besser, sicherer könnte das Motto für das nächste Großgerät sein: Ein MEAMultiwellsystem beschleunigt signifikant die Messungen an neuronalen Netzwerken, beschrieb
Schäfer. Multielektrodenarray-Systeme (MEA) erlauben die Ableitung elektrischer Signale von Nerven- und Herzmuskelzellen. Die Pirmasenser Forscher nutzen diese Technologie, um die Rolle des Darmnervensystems bei systemischen Erkrankungen wie Neurodegeneration oder auch der COVID Infektion zu untersuchen. Damit erfassen sie z.B. die direkten Einflüsse relevanter COVIDoder Alzheimerpeptide auf das Darmnervensystem. Dieses ist oft die erste „Anlaufstelle“ für pathologische Veränderungen durch unterschiedliche Erkrankungen. Die MEA-Technologie ist eine relativ teure Technologie und basierte 30 Jahre lang auf der Nutzung einzelner MEA-Chips. Neuronale Netzwerke in Kultur brauchen jedoch bis zu 3 Wochen, bis sie ausreichend aktiv sind. In dieser Zeit sind die Analysechips belegt und nicht anderweitig nutzbar. Hier kommen MEA-Multiwellsystem ins Spiel. Bei diesen gibt es Platten mit 24 bis 96 Plätzen. Dies ermöglicht die Kultur und Ableitung von 24, im Einzelfall auch bis zu 96 individuellen neuronalen Netzwerken und minimiert zusätzlich die Schwankungen bei den Messungen einzelner MEAs zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Wir sprechen hier von High-throughput (HTS) Systemen. HTS-Ansätze erlauben die gleichzeitige Messung unterschiedlicher Versuchsansätze. Das minimiert systematische Fehler und erhöht die Anzahl der Messungen pro Zeit deutlich. Dies führt zu einer erheblich besseren Datenausbeute. Bei der Messung von Einzelpeptiden aus einem komplexen Protein (z.B. COVID virus) lassen sich hiermit die aktiven Zentren, bzw. Sequenzen, welche eine Reaktion bei den Nervenzellen auslösen, sicher identifizieren.
Dr. rer. nat. Michael Lakatos, Fachbereich Angewandte Logistik- und Polymerwissenschaften, ging dann auf Investitionen in Technologien zur biotechnologischen Erschließung phykologischer Potentiale (PhycoBioTec) ein. Mikroalgen können nachhaltig und ressourceneffizient Wirkstoffe und Wertstoffe (u.a. Bioplastik, Farbstoffe, Polysaccharide, Aminosäuren) produzieren. Zur biotechnologischen Erforschung von Mikroalgen wollten die Forscher in Pirmasens Kompetenzen und Infrastruktur aufbauen. Und dazu gehört auch der Technologietransfer in die Wirtschaft. Das mittelfristige Ziel war eine intelligente Zukunftstechnologie. Drei Elemente ermöglichen neuartige Produktionsverfahren der Mikroalgen: Terrestrische Cyanobakterien arbeiten als Produktionsorganismus, dazu gehört innovative emerse Bioreaktortechnologie, um dabei Ressourcen effizient zu nutzen. Dafür entwickelte und realisierte die Arbeitsgruppe „Integrative Biotechnologie“ um Lakatos Konzeptionen und Umsetzungen. Zum Beispiel entstehen aus versiegelten Flächen auf dem Land und in der Stadt neue Produktionsflächen, die neuartige vernetzte Produktionssysteme bilden. Grundlagen der Zukunftstechnologie sind hocheffiziente an Luft geführte (emerse) Photobioreaktoren. Sie sind als Biofilm-Produktionsnetzwerke der nächsten Generation intelligent mit Rest- und Abfallstoffströmen sowie Wertschöpfungsketten vernetzt. Auf multifunktionellen Produktionsflächen produzieren prozessstabile terrestrische Mikroalgen ganzjährig Wirk- und Wertstoffe. Kurzfristig sollte diese Technologie als Prototyp in einer angewandten Umgebung realisiert werden. Für die Weiterentwicklung der Technologie werden Investitionen in die Grundausstattung, in spezielles analytisches Equipment und in biotechnologische Fermentationsanlagen dringend benötigt.
Hoch zeigte sich beeindruckt: „Heute ist mir in Pirmasens deutlich geworden, wie außerordentlich wertvoll die Anschaffung teurer Großgeräte sein kann. Sie entfalten aber vor allem dann ihr Potential, wenn sie so interdisziplinär genutzt werden wie an der Hochschule Kaiserslautern.“